Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
beschwichtigen.
Friedenssicherungskräfte können die Machtverhältnisse in Konflikten nicht entscheidend verändern. In dieser Hinsicht kann Friedenssicherung nie ein primäres, sondern nur ein sekundäres Friedensinstrument sein. Um es noch einmal zu betonen: Unter gewissen Umständen kann die Friedenssicherung der Vereinten Nationen viel erreichen, wie während des Kalten Krieges und bei verschiedenen Einsätzen zu Beginn der neunziger Jahre, etwa in Mittelamerika, Mosambik, Namibia und bei der umfangreichen Operation in Kambodscha. Aber sie kann auch höchst unzureichend sein. Dies ist darin begründet, dass Friedenssicherung in Kriegsgebieten nicht die treibende Kraft einer Konfliktlösung sein kann. Entscheidend dafür sind die Festlegung der Kriegsparteien auf Krieg oder Frieden und der Wille der Weltgemeinschaft, die Kräfteverhältnisse vor Ort zu verändern. Nur die Entscheidung, eine eigenständige Kampftruppe zu entsenden – die fähig ist, andere Militäreinheiten niederzuschlagen –, kann der Absicht, auf einen Bürgerkrieg Einfluss zu nehmen, gerecht werden. So geschehen in Bosnien, als man sich schließlich entschloss, die Friedenstruppe umzustellen und Partei zu ergreifen.
In meiner Zeit in der Führungsspitze der UNO konnten wir es uns als kollektives Verdienst anrechnen, dass das relativ einfache Werkzeug der Friedenssicherung, das für begrenzte zwischenstaatliche Konflikte während des Kalten Krieges geschaffen worden war, zu einem Instrument weiterentwickelt wurde, das bei der Lösung komplexer Bürgerkriege – der vorherrschenden Konfliktform in der modernen Welt – wertvolle Dienste leisten kann. Beleg dafür war die Tatsache, dass die UN -Friedenssicherung nach den Katastrophen Mitte der neunziger Jahre nicht, wie manche erwarteten, dahinsiechte, sondern im Zuge unserer Reformen wiedererstarkte und mehrere Missionen in von Bürgerkriegen erschütterte Gebiete entsandt wurden. Da solche Konflikte heute weltweit die meisten kriegsbedingten Todesopfer fordern, ist in ihnen der größte Beitrag zum Frieden zu leisten. Tatsächlich fanden nahezu alle friedenssichernden Einsätze der Vereinten Nationen seit 1992 in Konflikten statt, die nicht wirklich als zwischenstaatliche Kriege gelten können. Gegenwärtig, während ich dies schreibe, sind bei 16 solcher Missionen fast hunderttausend UN -Friedenssoldaten im Einsatz.
Die entscheidende Tatsache blieb jedoch, dass das größte Problem der UN -Friedensmissionen in den frühen neunziger Jahren durch Friedenssicherung nicht zu beheben war. Wir konnten, indem wir das Management der Missionen gemäß dem Brahimi-Bericht umgestalteten, mit aller Kraft versuchen, das Ansehen der Friedenskräfte vor Ort wiederherzustellen und zu bewahren. Aber diese Reform vermochte das Grundproblem der frühen neunziger Jahre nicht zu lösen: die Komplizenschaft der Weltgemeinschaft mit dem Bösen – das untätige Danebenstehen in voller Kenntnis des Grauens, das zu beenden in ihrer Macht stand. Ungeachtet der Grenzen dessen, was mit Gewalt allein erreicht werden kann, gab es eindeutig Gelegenheiten, bei denen die Weltgemeinschaft entschlossen hätte eingreifen können und müssen.
Aus der Abteilung für Friedenssicherungseinsätze nahm ich vor allem die Lehren aus Bosnien und Ruanda mit in das Amt des Generalsekretärs. Das Böse, das in Bürgerkriegsgebieten zu beobachten ist, geschieht durch den Willen von Konfliktteilnehmern, die aufgespürt, gestellt und aufgehalten werden müssen – wenn nötig mit Gewalt. Dennoch klammerten sich während meiner Amtszeit als Generalsekretär viele in der Weltgemeinschaft, in diplomatischen Vertretungen und in Hauptstädten überall auf der Welt an eine Vorstellung der UN -Charta, nach der, wie sie meinten, Gewaltanwendung unannehmbar war. Daraus sollte die größte Herausforderung erwachsen, mit der ich als Generalsekretär konfrontiert war: Es galt, ein neues Verständnis der Legitimität und Notwendigkeit von Interventionen angesichts grober Verletzungen der Menschenrechte zu schaffen.
3
SOUVERÄNITÄT UND
MENSCHENRECHTE
Kosovo, Osttimor, Darfur und
die Schutzverantwortung
Fünf vor zwölf in Osttimor
»Unser Schicksal liegt jetzt in Ihren Händen«, sagte Xanana Gusmão zu mir. Es war der 5. September 1999, und ich hatte den Anführer der Unabhängigkeitsbewegung von Osttimor in der indonesischen Hauptstadt Djakarta angerufen. Die Regierung hatte ihn unter Hausarrest gestellt, während ihre Milizen in seinem
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