Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
veröffentlichen. Mir war klar, dass ein wirklicher Reform- und Heilungsprozess ohne absolute Freimütigkeit, Ehrlichkeit und Offenheit nicht möglich war.
Als Nächstes beauftragte ich den äußerst fähigen und erfahrenen Diplomaten Lakhdar Brahimi, an der Spitze einer hochkarätig besetzten Expertengruppe zu untersuchen, was nötig war, um die Friedenssicherung den Bedingungen nach dem Ende des Kalten Krieges anzupassen. Das Ergebnis, den Brahimi-Bericht, brachte ich am 21. August 2000 dem Sicherheitsrat, der Generalversammlung und der Öffentlichkeit zur Kenntnis. Als wichtigste qualitative Veränderung hob der Bericht die besonderen Schwierigkeiten von Friedenseinsätzen in von Bürgerkriegen erschütterten Gebieten hervor. Die Prinzipien der Zustimmung der Kriegsparteien, der Unparteilichkeit und der Gewaltanwendung ausschließlich zur Selbstverteidigung sollten wie bisher die Grundlage von Friedenseinsätzen bilden. Andernfalls, stellte der Bericht fest, würden Friedenssoldaten kaum von den Kriegsparteien akzeptiert werden. Aber aufgrund der instabileren Verhältnisse bei Bürgerkriegen seien die Friedenssoldaten Veränderungen im Macht- und Aggressionsverhältnis zwischen den Kriegsparteien ungeschützter ausgesetzt sowie stärker dafür anfällig, von den Parteien im Ringen um Vorteile manipuliert zu werden. Das bedeute, dass die Friedenssicherungskräfte über glaubwürdigere Mittel der Selbstverteidigung verfügen müssten.
Ferner betonte der Bericht die Notwendigkeit, friedenssichernde und friedenschaffende Maßnahmen zu integrieren. Um einen Friedensprozess nach einem Bürgerkrieg aufrechtzuerhalten, sei ein ganzes Bündel von Maßnahmen nötig, die über die traditionelle Friedenssicherung hinausgingen und teilweise langfristig angelegt sein müssten. Wenn man Friedenssicherungskräften den Ausstieg ermöglichen wolle und wenn ihr Einsatz langfristig erfolgreich sein solle – das heißt dass der von ihnen hinterlassene Frieden langfristig Bestand hätte –, dann müssten Maßnahmen ergriffen werden, die man für gewöhnlich als Staatenaufbau bezeichnet.
Ein weiterer Punkt, den der Bericht unterstrich, war die Notwendigkeit, das Verhältnis zwischen UN -Sekretariat, Sicherheitsrat und Truppen bereitstellenden Regierungen zu verbessern. In schnell eskalierenden Krisen seien eine engere Kommunikation und Koordination vonnöten, mahnte der Bericht. Die Dreiparteienstruktur könne indes nicht verändert werden, so dysfunktional sie sei. Deshalb sollten Vertreter der Truppen bereitstellenden Länder in den Sicherheitsrat geholt werden, um in jeder Phase der Formulierung des Mandats und bei anderen Grundentscheidungen direkt mit dessen Mitgliedern und dem UN -Sekretariat zusammenarbeiten zu können. Darüber hinaus müsse das Sekretariat sich bei den Beratungen deutlicher Gehör verschaffen und dem Sicherheitsrat seine Kompetenz zur Verfügung stellen. Es müsse ihm sagen, was er hören müsse, nicht, was er hören wolle.
Neben diesen Problemen behandelte der Brahimi-Bericht noch viele andere Fragen der Doktrin, der Strategie und des Entscheidungsprozesses von Friedenssicherungseinsätzen. Das größte Thema, mit dem er sich befasste, war jedoch das Epizentrum des Friedenssicherungssturms: die Komplizenschaft mit dem Bösen. In dem Bericht hieß es, »bei UN -Friedenssicherungskräften – Soldaten wie Polizisten –, die Zeugen von Gewalttaten gegenüber Zivilpersonen werden, [sollte] vorausgesetzt werden, dass sie ermächtigt sind … einzugreifen und den Grundprinzipien der Vereinten Nationen Geltung zu verschaffen.« Nie wieder sollten sie danebenstehen und Menschen, die glaubten, sie seien dort, um sie zu retten, nicht helfen. Freilich fügte der Bericht auch hinzu, dass die Friedenssicherungskräfte dies nur »im Rahmen ihrer Mittel« tun könnten.
Damit blieb ein großes Problem offen: die durchgängige Schwäche von UN -Friedenstruppen, von denen man nicht erwarten konnte, dass sie nachhaltig in einen Bürgerkrieg eingreifen und sämtliche Gräuel beenden würden. Laut Brahimi-Bericht lag die Verantwortung vor allem bei den UN -Mitgliedsstaaten, insbesondere bei denjenigen, die dem Sicherheitsrat angehörten. Sie durften die Entsendung von Friedenstruppen nicht als Feigenblatt benutzen, um die eigene Unwilligkeit, mit dem nötigen Nachdruck zu intervenieren, zu verbergen oder um diejenigen, die eine machtvolle humanitäre Intervention forderten, bloß zu
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