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Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Titel: Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kofi Annan
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Serben.
    Obwohl der Bosnienkrieg zu diesem Zeitpunkt bereits hunderttausend Menschenleben gekostet hatte, war ein einziger Mörserangriff auf Sarajevo am 28. August 1995 der auslösende Funke, der zur Entscheidung für eine durchschlagende militärische Intervention führte. Die Granaten trafen einen der wichtigsten Märkte der Stadt, auf dem die Menschen nach Brot anstanden. 39 von ihnen starben. In der Weltpresse brach sofort ein Aufschrei der Empörung los, und nach Jahren voller Gräueltaten in Bosnien – und den Ereignissen, die sich in den vorangegangenen Monaten zugetragen hatten – schien es endlich genug zu sein.
    Allein in der ersten Nacht nahmen über hundert britische, französische, spanische und niederländische Flugzeuge an den Luftangriffen teil. Sie zerstörten 24 Ziele im Süden und Osten von Sarajevo und bombardierten das bosnisch-serbische Hauptquartier in Pale. Es waren keine symbolischen Nadelstichangriffe, wie man sie bei vorherigen Gelegenheiten unternommen hatte, um von Angriffen auf die Sicherheitszonen abzuschrecken. Jetzt griffen Düsenjäger Waffenlager, Kommando- und Kontrollzentren, Artilleriestellungen und Abschussbatterien von Bodenluftraketen an. Zudem befanden sich die UNPROFOR -Truppen in sicheren Positionen, so dass die Bombardements ohne Furcht vor Vergeltungsaktionen und Geiselnahmen fortgeführt werden konnten. An elf Tagen wurden von NATO -Flugzeugen über 3500 Angriffe geflogen und fast 400 Ziele angegriffen. Ergänzt wurden die Luftschläge durch den Einsatz der Geschütze der schnellen Einsatztruppe, die vom Igman aus die bosnische Artillerie ausschalten konnten, welche die über den Igman führende Straße nach Sarajevo oder die Stadt selbst beschoss. Die Operation »Deliberate Force«, wie sie genannt wurde, brach den bosnischen Serben, die bereits von der kroatischen Armee zurückgedrängt worden waren, das Rückgrat. Auch von Miloševi ć aus Belgrad bekamen die bosnischen Serben in dieser Zeit Druck, ihre Verluste zu verringern.
    Der Sicherheitsrat hatte sich also entschlossen, in dem Konflikt Partei zu ergreifen, das heißt die Friedenssicherung aufzugeben und stattdessen Krieg zu führen. Diese Entscheidung bedeutete eine deutliche Schwächung der bosnisch-serbischen Truppen und zwang sie schließlich an den Verhandlungstisch. Nachdem sie in wenigen Wochen die Herrschaft über große Teil des Landes verloren hatten und nicht mehr 70 Prozent, sondern nur noch die Hälfte des Territoriums kontrollierten, willigten sie am 17. September ein, die meisten ihrer Geschütze von den Bergen rund um Sarajevo abzuziehen. Im November befanden sich die Kriegsparteien dann auf der Friedenskonferenz in Dayton, Ohio.
    Das Ergebnis, das von US -Botschafter Richard Holbrooke brillant ausgehandelte Abkommen von Dayton, beendete endlich den Bosnienkrieg und die mit ihm einhergegangenen Gräuel an Zivilisten. Es war ein heikler Frieden, hatte der Krieg doch in der gesamten bosnischen Gesellschaft tiefe und noch frische Wunden hinterlassen sowie Misstrauen und Argwohn zwischen den Volksgruppen geschaffen. Zudem enthielt das Abkommen viele Widersprüche und Ungereimtheiten, insbesondere in Bezug auf die Regierung und die polizeilichen Zuständigkeiten in den Territorien der Volksgruppen. Dennoch hält dieser Friede mittlerweile seit fast zwanzig Jahren.

    Komplizen des Bösen
    »Könnten wir bitte einen Augenblick für uns allein haben?«, forderte ich die zahlreichen Politiker, Assistenten und Reporter auf, die uns umringten. Vor uns waren auf einfachen, mit grünem Wachstuch bedeckten Tischen Hunderte und Aberhunderte von Schädeln und Knochen ausgebreitet, manche augenscheinlich durch Gewalteinwirkung gebrochen. Meine Frau Nane und ich befanden uns auf einem Landstück rund fünfzig Kilometer südlich von Kigali, wo unter einem Schutzdach aus Holz und Schmiedeeisen diese menschlichen Überreste gezeigt wurden. Nachdem unsere Begleiter zurückgetreten waren, standen wir einfach da und ließen dieses Symbol des Leids und der Geschehnisse, die vier Jahre zuvor in Ruanda stattgefunden hatten, auf uns wirken.
    Am Tag zuvor, dem 7. Mai 1998, hatte ich im ruandischen Parlament eine Rede gehalten. Ich war seit über einem Jahr Generalsekretär der UNO und hielt es für wichtig, diesem Land, das unter den Augen der Vereinten Nationen so viel gelitten hatte, einen offiziellen Besuch abzustatten, den ich öffentlich als »heilende Mission« bezeichnete. Politisch erwies er sich als schwierig. In

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