Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
der Sicherheitsrat nicht nur leistungsfähig, sondern auch repräsentativ sein. In der Vergangenheit war er häufig beides nicht. Vor welchen Herausforderungen das kollektive Handeln auch stehen mag, klar ist, dass sich die wirtschaftliche und politische Machtverteilung in der Welt verändert hat. Die Frage, wieso Schwellenländer und Regionalmächte Strukturen hinnehmen sollten, die ihnen einen zweitklassigen Status zuweisen, hat noch niemand auf nachvollziehbare Weise beantworten können. Das Problem wird künftig nicht darin bestehen, dass solche Länder sich dem Sicherheitsrat aktiv entgegenstellen, sondern darin, dass sie ihn einfach ignorieren.
Dieses Spiel ist bereits beim Gerangel um Plätze an anderen Verhandlungstischen zu beobachten – denen von G8, G20 und all den anderen Gs. Aber ich habe Freunde, die sich darüber freuten, in die G20 aufgenommen worden zu sein, auch daran erinnert, wie unzufrieden sie waren, als sie von der G8 ausgeschlossen waren, und dass es immer noch 172 Länder gibt, die von der G20 ausgeschlossen sind.
Deshalb schlug ich im Rahmen meines Reformvorhabens, das ich nach der Rede im September 2003 in Angriff nahm, zwei mögliche Modelle vor. Beide sahen eine Vergrößerung des Sicherheitsrats von 15 auf 24 Mitglieder vor. Nach dem einen Modell sollte die Zahl der ständigen Mitglieder um sechs – ohne Veto – und die der wechselnden Mitglieder um drei erhöht werden. Das zweite Modell sah einen einzigen zusätzlichen Sitz für ein wechselndes Mitglied, aber acht „halbständige“ Sitze vor, die vier Jahre lang – bei möglicher Wiederwahl – eingenommen werden sollten. Diese Optionen schienen mir eine gute Grundlage für Verhandlungen über die künftige Zusammensetzung des Sicherheitsrats zu sein.
Logischerweise bevorzugten Länder, die einen ständigen Sitz anstrebten, das erste Modell; Indien beschwerte sich sogar darüber, dass es kein Vetorecht erhalten sollte. Aber welche Länder sollten die neuen Sitze erhalten? Japan, Deutschland, Indien und Brasilien sahen ihre Kandidatur als gegeben an und drängten darauf, auf dieser Grundlage weiterzumachen, während sich die afrikanischen Länder zwischen den konkurrierenden Ansprüchen Nigerias, Südafrikas und Ägyptens nicht entscheiden konnten. Die traditionellen Rivalitäten auf dem Kontinent traten in den Vordergrund. Nach Ansicht Ägyptens sollten die Länder nördlich der Sahara einen Sitz erhalten, während Südafrika versicherte, es sei in der Lage, alle afrikanischen Länder zu repräsentieren. Darauf entgegnete Nigeria, aufgrund der Größe des Landes, seiner Bevölkerung und seiner Rohstoffbasis stehe ihm ein Sitz zu. Auf lateinamerikanischer Seite waren die Gegensätze zwischen den großen Ländern ebenfalls nicht zu übersehen. Der argentinische Präsident Carlos Menem befürchtete darüber hinaus, eine Auseinandersetzung über die Vertretung im Sicherheitsrat hätte nur zur Folge, dass alte, längst überwunden geglaubte Rivalitäten wieder aufleben würden.
Manchen Staaten, die eine Erhöhung der Zahl der ständigen Mitglieder für falsch hielten – und natürlich als Gefahr für ihre privilegierte Stellung empfanden –, waren diese Meinungsverschiedenheiten willkommen. Tatsächlich schien es die Politik einiger Länder zu sein, eine Vergrößerung des Sicherheitsrats in der Theorie gutzuheißen, aber in der Praxis jeden konkreten Vorschlag abzulehnen. Manche hatten etwas gegen bestimmte Staaten einzuwenden: Pakistan erklärte, der Weg zu einem ständigen Sitz für Indien führe nur über seine Leiche; China stand Japan mit gemischten Gefühlen gegenüber – und so weiter. Diese Animositäten waren kurzsichtig. Wenn der Sicherheitsrat weiterhin eine Rolle spielen sollte, musste er vergrößert werden. Im Licht der vorherigen Erfahrungen war das halbständige Modell mit einem halben Dutzend Sitzen, die Regionalmächte über lange Zeit innehaben konnten – vielleicht mit einer Verlängerung alle zehn Jahre –, am vielversprechendsten. Gegensätze wie jene innerhalb der Afrikagruppe könnten durch regionale Mechanismen wie die Afrikanische Union überbrückt werden – so wie die Europäische Union teilweise die Außenpolitik ihrer Mitglieder koordiniert.
Kritiker meiner Entscheidung, 2003 auf eine Reform des Sicherheitsrats zu drängen, wandten ein, sie lenke von anderen Problemen ab, die die UNO belasteten, und würde in einer Zeit, in der Einigkeit geboten sei, Spaltungen hervorrufen. Aber eine Reform der
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