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Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Titel: Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kofi Annan
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beides, das Problem wie die mögliche Antwort, mit keinem Wort erwähnt wurde.
    Vom Gesetz des Dschungels zur Herrschaft des Rechts
    »Ich will verflucht sein, wenn ich zulasse, dass mein Sohn vor irgendein korruptes Gericht gezerrt und verurteilt wird«, sagte ein amerikanischer Richter, dessen Sohn als Hauptmann im Irak gedient hatte. Diese Ansicht war unter amerikanischen Politikern und Kommentatoren weit verbreitet. Nach Ansicht vieler Gegner des Multilateralismus stellte der Internationale Strafgerichtshof ( IStGH ), der 2002 gegründet worden war, um einzelne Täter wegen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zu belangen, die Krönung der Usurpation nationaler Souveränität dar. Dennoch überraschte es mich, dies von einem Richter des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten zu hören. Die obersten Richter laden traditionell einen Gast zum Mittagessen ein, und ich fühlte mich geehrt, als Richter Stephen Breyer mich während eines Besuchs in Washington einlud. Bei Salat und Sandwiches wurde der IStGH rasch zum strittigen Hauptthema des Gesprächs.
    Ich versicherte dem aufgebrachten Richter, dass es Verfahren gebe, die eine leichtfertige Verfolgung ausschlössen, und dass das Gericht nur in Aktion trete, wenn eine begründete Anklage vorliege und der betreffende Staat nicht willens oder in der Lage sei, die Taten zu untersuchen und vor Gericht zu bringen. Doch er ließ sich nicht überzeugen.
    In diesem Gespräch war ein Widerhall der größeren Debatten über das Völkerrecht angeklungen. Nach Ansicht konservativer Kommentatoren brauchen kleine und schwache Staaten das Völkerrecht und die UNO mehr, als große und mächtige Staaten es tun. Dies trifft zum Teil zu. Aber das Gleiche kann man auch von nationalen Rechtssystemen sagen. Wer Macht hat, kommt manchmal ungestraft mit einem Mord davon. Solche Ausnahmen sind jedoch umso unerträglicher, je weiter die Herrschaft des Rechts ausgebildet ist. Durchgesetzt wird sie sowohl durch formellen als auch durch informellen Druck. Das kann geraume Zeit in Anspruch nehmen, aber ich glaube, wir erleben diesen langwierigen Prozess zurzeit auf internationaler Ebene.
    Zu den Zielen, die mit der Gründung der Vereinten Nationen verfolgt und in ihrer Charta festgeschrieben wurden, gehört die Schaffung von Umständen, unter denen Gerechtigkeit und Gesetzestreue gedeihen können. Auf nationaler und internationaler Ebene dem Recht zur Herrschaft zu verhelfen, war eines meiner Hauptanliegen als UN -Generalsekretär, und im Jahr 2005 erhielt ich die einstimmige Unterstützung der Mitgliedsstaaten. Viele Beobachter haben allerdings angemerkt, die breite Zustimmung zum Prinzip der Herrschaft des Rechts sei nur möglich gewesen, weil die Länder unterschiedliche Auffassungen darüber hätten, was darunter in der Praxis zu verstehen sei. So wie ich sie verstehe, ist die Herrschaft des Rechts ein Prinzip, auf das jeder, einschließlich der Repräsentanten des Staates, verpflichtet ist. Sie umfasst Gesetze, die öffentlich verkündet, ungeachtet der Person in gleicher Weise durchgesetzt und von unabhängigen Gerichten interpretiert werden. Diese Gesetze sollten mit internationalen Menschenrechtsstandards in Einklang stehen. Außerdem erfordert die Herrschaft des Rechts eine gerechte Anwendung der Gesetze, Teilhabe an der Entscheidungsfindung und Transparenz. Es ist offensichtlich, dass noch nicht alle Staaten jede dieser Bedingungen erfüllen. Aber alle haben die Herrschaft des Rechts als politisches Ideal anerkannt, dessen Verwirklichung sie anstreben sollten.
    Auf internationaler Ebene ist die Anwendung des Prinzips der Herrschaft des Rechts auf die Interaktion zwischen Staaten weitaus komplexer. Heute fehlen noch die Institutionen, um Gesetze durchzusetzen und gerichtlich prüfen zu lassen. Die Jurisdiktion des Internationalen Gerichtshofs erstreckt sich nur auf Fälle, die ihm freiwillig vorgelegt werden. Eine internationale Polizei mit Vollstreckungsvollmachten gibt es nicht. Jeder Generalsekretär, der die Herrschaft des Rechts fördern mochte, steht vor der Frage, wie er souveräne Staaten davon überzeugen kann, sich dem Recht freiwillig zu unterwerfen.
    Schon bevor die Welt derart vernetzt war wie heute, war klar, dass man einen Kodex zur Regelung der internationalen Beziehungen brauchte. Man vergisst häufig, in welchem Ausmaß das moderne Leben durch internationale Gesetze ermöglicht wird: Sie gewährleisten, dass Post am Zielort

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