Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
UNO vorzuschlagen, ohne die Probleme des Sicherheitsrats anzusprechen, wäre als Ausweichen vor einer für viele Mitgliedsstaaten grundlegenden Frage betrachtet worden und hätte es erschwert, ernsthaftes Interesse für die anderen Reformthemen zu wecken.
Andere waren der Ansicht, ich wollte zu viel, und vielleicht hatten sie recht. Die UNO behandelt Reformer (ähnlich wie der Vatikan) nicht immer freundlich. Dabei übersieht man freilich die Errungenschaften der Reformbemühungen von 2003, die wir in den folgenden Monaten und Jahren erreichen konnten.
Die Probleme, vor denen die UNO damals stand, waren nicht nur struktureller Art. Ein in vieler Hinsicht grundlegenderes Problem bestand darin, dass die Mitgliedsstaaten die Welt und ihre Gefahren unterschiedlich wahrnahmen. Dies wurde insbesondere nach dem 11. September 2001 deutlich. Seit jenem Zeitpunkt waren ein großer Teil der Amerikaner und viele andere vor allem über die Gefahr des Terrorismus besorgt. Das war verständlich, und die UNO bot ein Instrument, mit dessen Hilfe man gegen einige dieser Gefahren vorgehen konnte. So unterstützte sie die Vereinigten Staaten in Afghanistan, bekämpfte die Finanzierung von Terroristen und so weiter. Aber wer, zum Beispiel in Afrika oder Südasien, nicht genug zu essen hatte, der hatte eine etwas andere Gefahrenwahrnehmung. Und wenn man in einer Region lebte, in der ein ernster Konflikt oder ein Ausbruch ethnischer Spannungen drohte, hatte man wiederum andere Ängste.
Deshalb versuchte ich deutlich zu machen, dass wir ein umfassendes Verständnis all dieser Gefahren brauchten. Die Feststellung, dass die Welt zu einem verflochtenen Ganzen geworden sei, ist zu einem der schlimmsten Klischees geworden. Sie trifft zu, ist aber nicht geeignet, jene Art von multilateralem Engagement in Gang zu setzen, das einer Welt entspricht, in der Gefahren nie auf jeweils nur ein Land oder eine Region beschränkt sind. Die UN -Mitglieder engagierten sich selektiv und sporadisch für herausragende Themen: Manche kooperierten bei Bedrohungen wie dem Terrorismus und, in geringerem Ausmaß, der Verbreitung von Krankheiten, wandten sich aber ab, wenn es darum ging, etwas gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zu unternehmen.
Tiefgreifende Reformen in einer internationalen Organisation von der Größe der UNO werden für gewöhnlich in Krisenzeiten eingeleitet. Es brauchte den Ersten Weltkrieg, um den Völkerbund, und den Zweiten, um die Vereinten Nationen zu gründen. Die UN -Charta wurde erst in den sechziger Jahren im Zuge der Entkolonialisierung und des Anstiegs der Mitgliederzahl auf nahezu das Doppelte novelliert. Als in meiner Amtszeit die Invasion des Irak stattfand, war nicht klar, ob diese Krise die Welt näher zusammenbringen oder spalten würde.
Ende 2003 begannen wir mit der Arbeit an einem umfangreichen Reformpaket, das eine Reform der Leitungsgremien, insbesondere des Sicherheitsrats, aber auch die Schaffung neuer Gremien und Normen für die Steuerung der Aktivitäten der Organisation umfasste. In meiner Rede vor der Generalversammlung im gleichen Jahr gab ich die Bildung einer »hochrangigen Gruppe namhafter Persönlichkeiten« bekannt, die sich mit den Bedrohungen, Herausforderungen und Veränderungen, mit denen die Vereinten Nationen konfrontiert waren, befassen sollte und die Aufgabe hatte, neue Ideen zu entwickeln, wie die kollektive Sicherheit im 21. Jahrhundert verbessert werden konnte. Außerdem schlugen wir vor, die seit langem in Verruf geratene Menschenrechtskommission durch einen Menschenrechtsrat zu ersetzen, um das Thema der Menschenrechtsverletzungen im Herzen der UNO neu zu beleben. Ferner sollte eine Kommission für Friedenskonsolidierung gebildet werden, die die vielfältigen Erfordernisse von Interventionen in Bürgerkriegszonen koordinieren sollte. Dabei sollten das Militär, die Entwicklungsarbeit und humanitäre Aktivitäten, einschließlich des nachfolgenden langen Engagements, das für eine effektive Intervention in solchen Gebieten nötig ist, gleichermaßen berücksichtigt werden. Als eine der Kernfragen für die Zukunft der Vereinten Nationen, ihre Führungsrolle, ihre Perspektive und ihr Sendungsbewusstsein, nahmen wir – neben Fragen wie dem Sicherheitsproblem der Massenvernichtungswaffen und der höchst umstrittenen Möglichkeit von Präventivkriegen – die neue Lehre von der Schutzverantwortung mit in unser Reformpaket auf.
Eine der großen Ironien dieser Periode war die Haltung
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