Ein Leben unter Toten
daß er es übersteht.«
»Wie Diana Coleman?«
»Sie hat zumindest etwas versucht.«
»Und ist gestorben.«
»Leider.« Carolas Stimme wurde brüchig.
Eine kurze Pause entstand. Jede Frau hing ihren eigenen Gedanken nach. Bis Lady Sarah fragte: »Ist sie eigentlich auf normalem Wege gestorben, oder hat man nachgeholfen?«
»Sie denken an Mord?«
»So sehe ich es.«
Um die Mundwinkel der Frau zuckte es. »Daran glaube ich inzwischen auch. Und ich habe es dieser verdammten Blanche Everett ins Gesicht gesagt, weil ich mich nicht beherrschen konnte.«
»Wie hat sie reagiert?«
Carola Finley drückte ihren Rücken durch. Steif blieb sie sitzen.
»Gewarnt hat sie mich. Eindringlich. Aber sie hat keine Konsequenzen daraus gezogen.«
»Noch nicht.«
Carola erschrak. »Meinen Sie, daß da noch etwas nachkommt?«
»Sicher. Wenn diese Leute etwas zu verbergen haben und sich durchschaut fühlen, dann reagieren sie mit aller Konsequenz. Und die läuft bis zum Mord durch.«
Nach diesen eindringlich gesprochenen Worten war Carola Finley sprachlos. Lady Sarah merkte ihr an, daß sich die Angst in ihr allmählich ausbreitete. Deshalb legte sie eine Hand auf die Schulter der Frau und sagte lächelnd: »Nehmen Sie es nicht so tragisch. Ich bin schließlich bei Ihnen, Carola.«
»Aber was können wir machen?«
»Zunächst einmal die Augen weit offenhalten. Nur beobachten. Zudem gibt es ja noch einen dritten Partner in diesem Spiel. Es ist John Sinclair. Er wird uns den Rücken decken.«
»Sie setzen große Hoffnungen in ihn.«
»Er wird sie nicht enttäuschen.«
Bevor Carola Finley etwas erwidern konnte, erklang eine Sirene. Nicht sehr laut, kein Alarmwecker, aber das Heulen war dennoch nicht zu überhören.
Carola Finley stand auf. »Es wird Zeit«, sagte sie.
»Wofür?«
»Das Fest beginnt«, erklärte die Frau und schaute auf Sarah Goldwyn nieder, die sitzen geblieben war. »Wir fangen im Hellen an und feiern bis in die Nacht.«
Lady Sarah stütze sich auf ihren Stock ab und stemmte sich hoch.
»Dann wollen wir mal«, sagte sie und ging zur Tür…
***
Die Zinken der verdammten Säge schnitten in das Fleisch meines Nackens. Der hinter mir stehende Mann hatte leicht zugedrückt, dennoch spürte ich die zahlreichen kleinen Wunden, aus denen mein Blut tropfte. Eine grenzenlose Angst hielt mich umklammert. Meine Hände waren feucht geworden, der Schweiß hatte sich darin festgesetzt, der Herzschlag trommelte überlaut, und ich rechnete fest damit, daß der Kerl mit der Säge zudrücken würde. Das geschah nicht.
Eine harte Frauenstimme drang an meine Ohren, und gleichzeitig hörte ich die Schritte, die näher kamen. »Laßt ihn in Ruhe, aber gebt acht, daß er nicht abhaut!«
Der Druck verschwand.
Ich atmete auf. Noch immer gelang es mir nicht, mich normal zu bewegen. Mein Kopf schien in Watte gepackt worden zu sein, das dumpfe Gefühl breitete sich bis zu den Ohren hin aus. Mich hatte ein verdammt böser Schlag erwischt, das merkte ich immer mehr. Die Frau, die da gesprochen hatte, war mir unbekannt. Allerdings konnte ich mir vorstellen, mit wem ich es zu tun hatte. Es war sicherlich die Heimleiterin, deren Name ich in dem Gasthaus ebenfalls gehört hatte. Blanche Everett.
Neben mir blieb sie stehen. Dabei hob sie den Fuß an und kickte mir die Spitze gegen die Seite. Danach redete sie mich an. »Ein Kuckucksei hat man mir ins Nest legen wollen. Wer bist du?«
Ich wollte reden. Es ging nicht. Die Kehle war wie zugeschnürt, kein Wort drang hervor. Ich kniete auf dem Boden und tat nichts.
»Soll ich ihn nicht doch…«
»Nein, du machst nichts. Ich habe eine andere Idee. Hier stehen genügend Särge herum. Werft den Kerl in einen von ihnen, und dann werden wir weitersehen.«
Diese Worte trafen mich schockartig. In einen Sarg sollte ich gesteckt werden. Verflucht, das Spiel kannte ich. Man hatte mich vor langer Zeit einmal lebendig begraben. Eines meiner schlimmsten Abenteuer war dies gewesen, und in manchen Nächten träumte ich noch davon, wobei ich oft genug schweißgebadet aufwachte.
Und nun sollte mir das gleiche widerfahren!
Ein grunzendes Lachen vernahm ich. Die beiden Helfer hatten einen Heidenspaß. Sie würden sich das Vergnügen nicht nehmen lassen, den Sargdeckel persönlich über mir zu schließen.
Als meine Gedanken so weit gediehen waren, spürte ich plötzlich Hände auf meinem Körper. Es waren Pranken, die sich vortasteten unter meine Kleidung fuhren und nach irgendwelchen
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