Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Leben unter Toten

Ein Leben unter Toten

Titel: Ein Leben unter Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
Vom Netzwerk:
Tür des Raumes quietschte, deshalb war Blanche Everett, die Heimleiterin, gehört worden. Die Frau, die alles in der Hand hatte und der man nichts vormachen konnte.
    Sie unterstand direkt Doc Rawson, dem Chef, aber sie hatte mehr Einfluß als er, der sich kaum sehen ließ. Für einen Moment blieb sie in der Tür stehen, um die Frauen zu beobachten, die so taten, als würden sie von ihr keine Notiz nehmen. Doch manch verstohlener Blick glitt dorthin, wo Blanche Everett stand. Sie glich einem Feldherrn, der seine Soldaten in die Schlacht schickte.
    Ihr Alter war schwer zu schätzen. Es lag zwischen 40 und 50 Jahren. Zudem trug sie meist nur dunkle Kleidung, und die machte eine Frau immer älter. Die dunklen Haare waren so kurz geschnitten, daß sie wie eine glänzende Schicht auf dem Kopf lagen und die Haut noch heller erscheinen ließen. Glatt wie ein Babypopo präsentierte sich die Stirn. Darunter zweigten zwei schmale, dunkle Augenbrauen ab und eine Nase, die wie ein Keil aus dem Gesicht stach. Die Oberlippe war ziemlich breit, ihre Augen lagen tief in den Höhlen und waren so dunkel wie das Haar. Das Kinn lief vorn spitz zu, so daß es an ein Dreieck erinnerte. Im Gegensatz zu ihrem harten Gesichtsschnitt zeigten die vollen Lippen eine seltene Weichheit, wie die eines jungen Mädchens. Kalt wie Eis war der Blick, als er über die stumm gewordenen alten Frauen glitt. Die Wangenmuskeln in dem hageren Gesicht zuckten ein wenig als sie durch die Nase Luft holte, sich in Bewegung setzte und dorthin schritt, wo die drei großen Fenster fast den Boden berührten. Man konnte vom Speisesaal aus nach draußen vor das Haus schauen und auch in die Hügel hinein, wo sich der schmale Weg der zum Altersheim führte, allmählich verlor.
    Kaum hatte sie die Fenster erreicht, als sie sich mit einer abgezirkelt wirkenden Bewegung herumdrehte, so daß sie die Scheibe im Rücken hatte, sie selbst aber auf die 25 alten Frauen blicken konnte, die schweigend frühstückten.
    Blanche Everetts Augen wurden noch schmaler. Bei ihr ein Zeichen, daß sie etwas sagen wollte. Das tat sie auch. Ohne einen Morgengruß abzugeben, unterbrach ihre Stimme das Frühstück.
    »Hört mal her!«
    Die Frauen stoppten mit ihrer Mahlzeit. Wer nicht in ihrer Blickrichtung saß, der drehte sich um, denn Blanche Everett wollte, daß eine jede sie anschaute, wenn sie sprach.
    Mit ihrer kühlen, tonlosen Stimme erklärte sie: »Diana Coleman ist gestorben.«
    Niemand erwiderte etwas. Die Frauen saßen stumm da. Einige hoben die Hände und falteten sie. In manchen Gesichtern zuckte es auch, und bei zwei Frauen rannen Tränen über die blassen Wangen mit den eingekerbten Hautfalten. Ansonsten zeigten sie keine Reaktionen. Sie durften es nicht, denn man hätte ihnen etwas anderes gesagt. In diesem Heim geschah nur das, was Blanche Everett anordnete. Die meisten saßen steif. Nur die sehr alten Frauen, von der Last der Jahre gedrückt, harten den Oberkörper nach vorne gebeugt und starrten aus glanzlosen Augen auf Teller und Tassen, wobei manche Mundwinkel hektisch zuckten. Ein Zeichen, daß sie Mühe hatten, ihre Tränen zu unterdrücken.
    »Niemand sagt etwas?« Blanche Everett lächelte spöttisch und stemmte ihre Arme in die Hüften. »Weshalb? Ihr seid doch sonst nicht so schweigsam. Wie oft höre ich euch flüstern. Oder hat euch der Tod dieser Frau nicht überrascht?«
    Sie bekam wieder keine Antwort. Die Frauen blieben ruhig. Sie wollten jetzt nicht sprechen. In diesem Haus mußte man seine Zunge hüten. Die im Raum liegende Stille war unnatürlich. Sie drückte auf die Gemüter. Nur Blanche Everett lächelte. Wer in sitzender Haltung zu ihr hochschaute, der sah sie noch größer, als sie in Wirklichkeit war. Ein düsterer Engel und auch gefährlich.
    Ihr dunkles Kostüm saß wie angegossen. Der Rock fiel bis auf die Knie. Aus dem Kragenausschnitt leuchtete eine hellgraue Bluse. Die Arme brachte sie nach vorne und verkrampfte die Hände ineinander. Dabei knackte sie mit den Fingern.
    Auch Geräusche, die die Frauen kannten. Manchen stießen sie bitter auf. »Ja, sie hat es hinter sich«, erklärte die Everett. »Es kam ganz plötzlich. Mitten in der Nacht. Doc Rawson versuchte noch zu retten, was zu retten war, aber er schaffte es nicht. Leider, muß man sagen. Zudem war Diana Coleman seit einigen Tagen ein wenig bettlägerig wie ihr sicherlich wißt. Jetzt hat sie es hinter sich.«
    Die Frauen nickten, obwohl alle wußten, daß Blanche Everett gelogen hatte.

Weitere Kostenlose Bücher