Ein letzter Brief von dir (German Edition)
sich, als sei sie in einen Hinterhalt getappt. Würde Marek morgen um die Ecke zu Mittag essen?, fragte sie sich und konnte sich augenblicklich selbst die Antwort geben:
Natürlich
. Er war ein Gewohnheitstier. «Bist du am Ende doch noch Ski gefahren? Den meisten geht es ja so, dass es nach einer Weile doch klappt, nicht?»
«Ich habe mich in den Barkeeper verliebt», sagte Bogna und ging mit einem Staubwedel über die Erotika. «Von Tag zwei an kein Skifahren für mich. Skifahren ist Scheiße.»
«Und dein Bruder?», fragte Orla und ließ sich gegen die Armlehne des Sofas sinken, um sich die nassen Stiefel von den Füßen zu ziehen. Das hatte lässig geklungen, hoffte sie. Ja. Definitiv lässig. «Wie geht’s ihm?»
«Warum interessiert dich das?»
Darauf gab es eine erschöpfende Antwort.
Weil ich deinen Bruder liebe. Ich kann es jetzt benennen – es ist Liebe. Vielleicht habe ich sie nicht erkannt, weil ich Ärmste sie nie zuvor gefühlt habe. Es tut mir leid, dass ich es ihm nicht gesagt habe. Es tut mir leid, dass ich versagt habe. Es tut mir leid, dass ich ihn verloren habe. Ich liebe Marek Zajak. So, nun habe ich es gesagt.
Die Antwort, die Orla tatsächlich gab, fiel knapper aus. «Nur so.»
«Er war jeden Tag im Urlaub sehr, sehr schlecht gelaunt. Deine Schuld. Ich weiß nicht, was du mit ihm machst, aber er fix und fertig. Ich sage zu ihm: Der einzige Ausweg ist, ratzfatz, neue Frau.»
Wow, danke, Bogna
.
«An Silvester», fuhr Bogna fort und zeigte mit dem Staubwedel anschuldigend auf Orla, «hat er sich betrunken. Total besoffen. Mein Bruder macht so was nie. Er spuckt auf dem Balkon und bleibt ganzen nächsten Tag im Bett.»
Obwohl sie Marek liebte und ihm nur das Beste wünschte, elektrisierten Orla diese Details. Ihre Hoffnung – eine erbärmliche Kreatur, die sich in der Ecke das Fell leckte – vollführte mit gesträubten Haaren ein kleines Tänzchen. Er vermisste sie also auch, genügend, dass er seinen Kummer in Alkohol ertränken musste. Das ließ sich als ein Anfang interpretieren.
«Danach er hatte bessere Laune. So, als hätte er dich ausgespuckt und überwunden.»
Maude kehrte mit einem Tablett voll klappernder Tassen zurück. «Niemand könnte unsere liebe Orla so schnell überwinden», sagte sie barsch. «Und Bogna, achte auf deine Sprachbilder.»
«Sag ihm liebe Grüße von mir», bat Orla vorsichtig.
«Nein», entgegnete Bogna bestimmt.
Mit quietschend nassen Socken und einer feuchten Demarkationslinie auf halber Höhe ihrer Jeans schlich Orla mit ihrer Tasse nach oben.
Sie hatte darauf gewartet, dass Marek den ersten Schritt tat, aber er hatte ihn längst getan. Mehr als einmal.
Als Orla heißes Wasser in die Wanne laufen ließ, füllte sich ihr Bad mit Wasserdunst, der zum Glück die dumme Frau im Spiegel verschluckte.
Marek hatte in ihrer Beziehung bisher alle ersten Schritte getan.
«Ich habe auf dem Computer hier kein Skype – Monsieur hat den schickeren von beiden behalten. Ich muss dir die neue Wohnung also beschreiben.»
«Bist du schon eingezogen? Ich habe dir gar keine Karte geschickt.»
«Egal. Ja, seit dem fünfzehnten Januar 2013 lebe ich in der Sweeney Avenue Nummer vierzehn. Und ich finde es herrlich hier, Orla! Ich muss dauernd im Wohnzimmer auf und ab hüpfen.»
«Wie sieht es aus?»
«Kennst du den Häuserblock, über den wir reden? Den Neubau, ja? Wir sind im dritten Stock. Wenn ich mich umsehe, ist da beige Wandfarbe, Orla, viel beige Wandfarbe. Und es riecht nach neuem Teppichboden. Im Gemeinschaftsraum steht ein Fahrrad, über das Jack und ich ständig stolpern. Scheußliche Küche. Und es ist klein. Klein, klein, klein.»
«Du und klein passt nicht so recht zusammen. Dein altes Bad war groß genug, um darin eine Familienfeier abzuhalten.»
«In das Bad würde diese ganz Wohnung reinpassen. Aber es reicht für den kleinen Mann und mich allemal. Und hör mal – ich gehe wieder arbeiten!»
«Nicht im Ernst.»
«Ich schwöre dir, es stimmt. Eines Morgens bin ich aufgewacht, habe meinen alten Chef angerufen, du weißt schon, den Lustmolch mit der Perücke, und, voilà, hatte ich drei Tage die Woche.»
«Aber du hast die Arbeit doch gehasst.»
«Du und dein Elefantengedächtnis. Ich übertreibe es ja nicht, es sind nur drei Tage, und Monsieur bezahlt den Babysitter.»
«Wie geht’s ihm?»
«Er hat es immer noch nicht begriffen. Er glaubt, ich spiele nur ein bisschen, unabhängig zu sein. Er erträgt mich mit Geduld, weißt
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