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Ein liebender Mann

Ein liebender Mann

Titel: Ein liebender Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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stand auf halber Höhe zwischen der Kreuzbrunnen-Promenadedrunten und dem beginnenden Kranz der Hotelpaläste. Sie wirkte noch zu groß in dieser grünen Einsamkeit. Solange sie ihre Glocken läuten ließ, sprach auf der Terrasse niemand mehr.
    Er jetzt, irgendwie hingerissen, auf jeden Fall weniger beherrscht, als es Zeit und Ort ihrer Unterhaltung empfahlen: Mit Ihnen nach Eger, Ulrike, das wär’s. Ohne Publikum. Mit Ihnen von Eger nach Westen, nach Haslau, hinter Haslau an der Berglehne entlang. Dann empfinge uns der Wald, der Himmelreich heißt, und da, an der Chaussee, der gewaltige Quarzfels, auf dem ich mich immer platziere zu nichts als zum Schauen. Und das mit Ihnen, Ulrike! Verzeihen Sie, wenn meine Wünsche einmal ins Maßlose tendieren. Und stand plötzlich auf, ging, drehte sich aber noch einmal um und sagte: Bis abends, meine Verehrte. Dazu jene sanfte, mehr angedeutete als wirkliche Verbeugung. Und ging hinüber in seine Goldene Traube. Er ging, so gut er konnte. Gehschwierigkeiten kannte er nur vom Hörensagen. Aber dass Ulrike ihm jetzt vielleicht nachschaute, machte seinen Gang unsicher. Also betonte er die Sicherheit eines jeden Schritts. Das allerdings konnte komisch aussehen. Als er drüben durch die Tür ging, schaute er sozusagen heimlich zurück. Die Terrasse war leer. Ulrike hatte ihm nicht nachgeschaut. Das war ihm auch nicht recht.
    Er wusste, er musste jetzt schreiben. Und weil er sich stark genug fühlte, Ulrike in diesem Augenblick auch der abgeneigtesten Welt zu präsentieren, schrieb er an Ottilie. Ulrike konnte da nicht vorkommen, aber alle Sätze, aus denen seine Stärke strömte, waren Sätze voller Ulrike. Ihmwar bei aller empfundenen Stärke nach Friedensstiftung zumute. Frieden mit Ottilie! Ein Brief zur Einlullung aller durch Nachricht und Gerücht erzeugten Kriegsstimmungen.
    Alles ist mir über Wissen und Wollen hinaus gut gelungen, befriedigend für Herz, Geist und Sinn, wie man sonst zu sagen pflegt   …
    Es war nicht sein Stil, aber Ottilie, wie er sie kannte, wird ohnehin nicht das lesen, was da steht, sondern das, was er verschweigt. Sie hatte seine Gefühle für Ulrike von Levetzow gewittert, bevor er sie selber richtig erlebte. Als er vor zwei Jahren aus dem böhmischen Sommer in den Weimarer Herbst zurücksuchte, war Ottilie schon mit Gerüchten gerüstet, die damals wirklich nichts als Gerüchte waren. Den Mut, ihm ins Gesicht zu sagen, was Caroline von X und Caroline von Y ihr berichtet hatten, hatte sie nicht, aber auf einem Papier, auf dem sie ihn über aktuell Geschäftliches informierte, fügte sie, ganz im Geschäftston bleibend, hinzu, dass er sich bitte nicht mehr in diese Art von Verbindung einlasse, deren gewissenhafte Erfüllung ihm sein hohes Alter verbiete. Er hatte Ottilie ausgelacht. Damals.

4.
    Dr.   Rehbein stellte sich in die Mitte des Saals im gerade noch fertig gewordenen Traiteur-Haus und eröffnete die Feier seiner Verlobung mit Catty von Gravenegg mit Begrüßungen. Der erste Begrüßte war der Großherzog Carl August, der zweite war Goethe. Seine Exzellenz, Geheimrat und Staatsminister Freiherr von Goethe. Darauf lauterer Beifall als bei der Begrüßung des Großherzogs. Goethe, der natürlich mit den Levetzows an einem Tisch saß, Ulrike direkt gegenüber, schaute, als er begrüßt wurde, Ulrike an. Sie applaudierte erst, als sie gemerkt hatte, dass Goethe stärker applaudiert wurde als dem Großherzog. Sie applaudierte dem Applaus. Sah dann auch herüber. Da es im Saal nicht besonders hell war, waren ihre Augen grün.
    Dr.   Rehbein zerfloss ein bisschen vor Herzlichkeit, Dankbarkeit und Glück, weil er begrüßen durfte Napoleons Stiefsohn Eugène de Beauharnais, einmal Italiens Vizekönig, heute Herzog von Leuchtenberg und Fürst zu Eichstädt; Napoleons Bruder, Louis Bonaparte, einmal König von Holland, heute Graf Saint-Leu. Und wie glücklich bin ich, unter uns zu wissen Julie von Hohenzollern. Was draußen in der Welt einander verständnislos begegnet, in Marienbad findet die Geschichte zu sich selbst. AllergrößterApplaus. Dr.   Rehbein bat Catty von Gravenegg zu sich. Sie kam. Goethe sah sie zum ersten Mal. Ein gewaltiges Mädchen. Hellblonde Haare bis auf die bloßen Schultern. Haare, die noch nie unter Lockenwicklern und Brennschere zu leiden gehabt hatten. Der mit Spitzen besetzte Ausschnitt ihres schwarzen Kleides lud ein, sich ihre erheblichen Brüste zur Gänze vorzustellen. Goethe tat’s und merkte gleich, wie

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