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Ein liebender Mann

Ein liebender Mann

Titel: Ein liebender Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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die einem alles zu verdanken haben.
    Und Ulrike: Was hätte man davon?
    Man könnte sagen, sagte Goethe, wer mir dankbar ist, dem bin ich dafür, dass er mir dankbar ist, so dankbar, wie er mir gar nicht sein kann.
    Sie wollen immer alle übertreffen, sagte Ulrike.
    Nur, weil ich nicht übertroffen werden will, sagte er.
    Nur, weil Sie wissen, dass Sie immer alle übertreffen.
    Ulrike, sagte er, wie ich mit Ihnen hier reden kann und Sie mit mir, erinnern Sie sich noch, letztes Jahr und das vorletzte im steil eingeschnittenen Karlsbad, haben wir da je so reden können mit einander?
    Marienbad hat etwas Amerikanisches, sagte sie.
    Er begriff nicht gleich.
    Sehen Sie doch, um die weite Wiesenwanne, ganz am höchsten Rand der Wanne, da, wo dann der Urwald beginnt, ein Hotel neben dem anderen. Drei, vier gewaltige Hotels, mitten in die grüne Wildnis gesetzt. Denn vor vier Jahren war hier noch grüne Wildnis. Das komme ihr amerikanisch vor.
    Das Klebelsberg-Palais, sagte er, ist schon eine Provokation.Hundert Zimmer auf drei Stockwerken, eine Prachtsfassade, fünfzig Meter breit. Kann das gutgehen?
    Exzellenz, wenn etwas gutgehen muss, geht es gut, sagte sie streng belehrend. Eigentlich in seinem Ton.
    Goethe staunte. Und fragte, wenn sie so rede, wen er da reden höre.
    Mich, sagte sie. Aber so wie er über Gewittertote und Seneca alles von einem Kriminalrat in Eger habe, so habe sie alles, was Marienbad angehe, von ihrem zukünftigen Stiefvater, dem Grafen Klebelsberg, und ihrem Großvater, dem Baron Broesigke. Die beiden sollte der Geheimrat abends einmal reden hören. Marienbad, die grünste Einöde Europas, an der Europas Reichste immer vorbeigefahren sind, nach Karlsbad. Die werden jetzt Halt machen in Marienbad. Klebelsberg, im Hauptberuf immerhin österreichischer Finanzminister, und ihr Großvater Broesigke seien Rechner. Der Großvater habe hier mitgebaut. Der sei übrigens, und das sage sie nur, dass Goethe wisse, auch in ihrer Familie komme Höheres als Älteres vor, der Vater ihrer Mutter sei ein Patenkind des großen Preußenkönigs Friedrich.
    Ach, sagte Goethe, das ist eine schöne Brücke: vom großen Friedrich ins amerikanische Marienbad.
    Der Großvater, sagte sie, würde sich freuen, wenn Goethe den Patenbrief einmal sehen wolle, das wisse sie.
    Und Goethe: Den will ich wirklich sehen. Übrigens habe er einmal am Ende eines Romans seinen Romanhelden, als der wählen kann, wo er, um Geld anzulegen, hin wolle, nach Russland oder nach Amerika, den wählen lassen: nach Amerika.
    Exzellenz, rief sie, Themenwechsel!
    Und er: Warum jetzt das?
    Sie: Da wolle sie ein bisschen großtun mit Amerika und er, für ihn nichts Neues, hat er längst erledigt!
    Aber leider nur im Roman, sagte Goethe, und das im melancholischsten Ton.
    Ulrike kriegte natürlich mit, dass Goethe stolz darauf war, mit ihr zu promenieren. Sie begriff auch, dass es darauf ankam, durch lebendigstes Gespräch mit allen dazugehörigen Gesten dem Marienbader Publikum zu demonstrieren, dass man einfach nicht gestört werden dürfe. Dass Ulrike jeden Tag in einem anderen Kleid auftrat, genoss Goethe, als habe er diese Kleidungen für Ulrike erfunden. Wahrscheinlich kamen alle ihre Kleider direkt aus Wien, vom Freund der Mutter, dem Grafen Klebelsberg. Alle Levetzow-Frauen waren lebendiger, ja eigentlich gedankenreicher ausstaffiert als die anderen Frauen. Nie ein Kleidungsstück, das die, die es trug, zur Vorführerin des Kleidungsstücks machte. Da könnte sein Schwiegertöchterchen Ottilie etwas lernen. Aber er wusste jetzt schon: Wenn er Samt und Seide, Wolle und Leder der Levetzow-Frauen in Weimar schilderte, reagierte Ottilie mit voller Nervenwucht, das heißt, sie würde krank oder böse. Oder beides. Gerade war von Ottilies Schwester, Ulrike von Pogwisch, ein Brief eingetroffen, der ihm meldete, wie es in Weimar stand. Sie habe gehört, schrieb sie, dass Goethe eine Namensschwester von ihr besonders auszeichne. Dass die Ulrike heiße, sei ihr gar nicht recht. Wenn er dann, zurück in Weimar, diesen Namen höre, werde er immer an die Ferne, Hübsche, Liebenswürdige denken. Er hatte inseiner Post an den Sohn die Familie Levetzow freundlich erwähnt. Ottilie musste er ohnehin behandeln, als wäre sie seine Frau und nicht die des Sohnes August. Dass er und die hiesige Ulrike als Paar zwischen Zürich und Hamburg bekannt waren, als Gerücht, als Briefgeplauder und Tagebuchprosa, wusste er, weil er die Gesellschaft lange genug kannte. Ein

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