Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein liebender Mann

Ein liebender Mann

Titel: Ein liebender Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
Vom Netzwerk:
wirkungslos diese Vorstellung blieb. Spürbar wurde nur, wie er ganz Ulrike gehörte. Wenn er’s ihr doch deutlicher zeigen könnte.
    Dr.   Rehbein redete, wie nur ein Glücklicher reden kann. Wie hatte er’s geschafft, dieses Mädchen zu gewinnen! Schauen Sie sie an, und schauen Sie mich an. Er gehöre in Goethes Meister-Novelle Der Mann von fünfzig Jahren. Aber Catty ist nicht Hilarie, die zuerst dem Fünfzigjährigen um den Hals fällt, dann aber doch dem wilden Jüngling Flavio verfällt. Catty sagte schnell dazwischen: Ich verfall bloß einmal in mei’m Leben. Das war auch noch bayerisch gefärbt. Großer Beifall. Sie machte keinen Knicks, sondern verbeugte sich wie eine Schauspielerin. Sie standen Hand in Hand. Sie waren ein Prachtspaar. Lockiges Schwarzhaar er, sie eine Woge in Blond. Die beiden strahlten ihr Glück aus.
    Goethe beobachtete Ulrike. Er sah sie, weil sie sich zur Saalmitte gedreht hatte, nur von der Seite. Sie wirkte immer sehr aufrecht. Immer so, als könne sie leichter nach oben schauen als geradeaus. Was in ihr vorging? Er hatte nicht daran gedacht, dass der Altersunterschied des Paars zum Thema der Verlobungsfeier werden würde. Er schaute wieder zu dem Paar hin, gebannt, berührt vondieser Vorführung des reinen Glücks. Er fürchtete nicht, beobachtet zu werden. Wäre doch verständlich, wenn plötzlich der ganze Saal sich zu ihm und Ulrike hindrehen würde. Bitte, sollen sie. Was ihn jetzt erfüllte, durfte er höhere Sorglosigkeit nennen. Saß Ulrike ein bisschen zu aufrecht? Ach, wenn sie sich doch schnell einmal ganz herdrehte, dass er sie seine unangreifbare Sorglosigkeit sehen lassen könnte. Sie animieren könnte, genau so sorglos zu sein wie er. Solange sie fast in Reichweite, auf jeden Fall überaus sichtbar vor ihm saß, war er unverwundbar. Ja, die Welt ist immer bereit, dich zu verwunden. Aber hier doch nicht. Marienbad, das war nicht die Welt. Die von Tannen bewachten Höhen, die es umgaben, schützten es vor Weimar, also vor der Welt. Dreh dich doch schnell einmal her, Ulrike, dass ich seh’, wie du teilnimmst, was es heißt für dich, das himmlische Verlobungstheater. Werden wir hier gespielt? Er hoffte, sie verfolge, was in der Saalmitte geschah, mit dem minimalen Lächeln, das immer ihr Ausdruck war dafür, dass sie nichts dagegen hatte. Nicht wahr, Ulrike, wir werden nachher, wenn das Fest droben im Klebelsberg’schen Haus bis in jede Nachtstunde hinein fortgesetzt wird, über jede Sekunde, die wir hier gemeinsam erleben, ausführlich sprechen. Einander fragen: Wie haben Sie das gefunden? Und Sie, wie fanden Sie’s. Er war durch und durch froh, dass er hier einen öffentlichen und seine Bedeutung schön betonenden Vorgang gemeinsam mit Ulrike erlebte. Wunderbar, die stimmungsreichen Sitzungen mit der Familie. Aufs Schönste fesselnd die Dialoge vor der zuschauenden Öffentlichkeit auf der Promenade. Aber endlich musste auch ein gemeinsam zuerlebendes Ereignis passieren! Und dann auch noch eins, das wie für sie oder von ihnen bestellt wirken durfte. Verrechne jetzt nicht die hier maßgebenden Zahlen mit deinen Zahlen. Wenn Ulrike diesen Vorgang genießen kann, kann sie   … kann sie   … Ach, Ulrike, dreh dich zu mir, nur eine Sekunde.
    Als Dr.   Rehbein seine lockere und glaubwürdige, weil ganz aus der augenblicklichen Empfindung entspringende Rede beendet hatte, wurde noch einmal heftig geklatscht, und bevor er, Catty an sich pressend, wieder auf seinem Platz ankam, trugen zwei als Zimmerleute kostümierte Diener eine Wiege herein, die bunt überfüllt war mit wahrscheinlich anspielungsreichen Geschenken, und der Großherzog war zur Stelle und gratulierte dem Paar und wies auf die bunt überfüllte Wiege als auf sein Geschenk hin. Dann legte er die Hände des Paars in einander, hob diese vier in einander gelegten Hände hoch wie eine Trophäe   – Goethe musste daran denken, dass des Großherzogs Lieblingsjagdziel Enten waren – und rief in den Saal, er sei daran interessiert, dass sein Leibarzt in guten Händen sei. Beifall. Goethe klatschte heftig mit und verlangte seinem Gesicht ein allwissendes Schmunzeln ab. Ulrike drehte sich zum Tisch zurück, Goethe nickte, um ihr zu zeigen, dass hier alles zu seiner vollkommenen Zufriedenheit stattfinde. Dann wurde serviert. Dr.   Rehbein bat noch einmal um Aufmerksamkeit. Da seine Verlobte Vegetarierin sei, werde fleischlos gespeist, aber, das könne er versprechen, unser Traiteur Monsieur Charcot habe aus

Weitere Kostenlose Bücher