Ein liebender Mann
beobachtete. Ihre hohe, runde Stirn zog sie in Falten. Aber die Mutter hatte noch mehr Temperament abzuladen. Die schönste Wortschöpfung, sagte sie, sei der Schönheits-Erhaltungs-Lehrer. Ein geradezu umarmend schöner Wörterstrauß! Da möchte unsereins direkt nach dem autobiographischen Anteil fragen …
Mama, sagte Ulrike jetzt heftig. Und das genügte. Kommen Sie, Exzellenz, sagte sie und stand auf. Es war klar, sie wollte mit Goethe tanzen. Auf Ulrike zeigend, entschuldigte er sich bei der Mutter für seinen jähen Aufbruch, der ihm sehr gelegen kam. Auf dem Weg zur Tanzfläche ging sie eng neben ihm, hängte sich ein, hing an seinem Arm,wie sie es tat, wo auch immer sie mit ihm in Marienbad erschien. Er zog sie fast heftig an sich. Sie sah herüber zu ihm, ihre Augen waren grün, sie sagte: Verzeihen Sie. Frau Amalie von Levetzow, parfois elle est un peu volubile.
In den letzten Jahren hatte Goethe Tanztees und Bälle gemieden. Seit dem Kongress wurde der Dreiviertel-Takt zum Bekenntnis. Ihn interessierte es natürlich, was sich da ausdrückte und wie. Er hatte sich schon vor Jahren die Schritte zeigen lassen. In seinem Quartier. Von einem Tanzlehrer. Für alle Fälle. Dieser Fall war nun eingetreten. Eine Lizenz von früher hatte sich erhalten. Das Abklatschen. Frauen und Männer durften Paare durch Abklatschen auseinanderreißen. Er war immer ein Tänzer gewesen. Irgendwann früher hatte er, wenn die Nächte nachgiebig geworden waren, sich oft von jeder Partnerin gelöst und hatte als Solist verrückt gespielt und war es wohl auch. Jetzt mit Ulrike. Sie war sofort ein Teil von ihm. Sie war so leicht, lag ihm in den Händen und Armen, sie wurde durch die Drehungen hinausgebogen, sie waren ein Körper, er hatte kein bisschen Angst, dass etwas passieren könnte. Ihre Blicke waren so fest ineinander, weder ihr noch ihm wurde es schwindlig. Aber er wurde abgeklatscht. Und zwar von dem jungen Mann, der drunten im Traiteur-Haus gefragt hatte: Und morgen. Goethe hätte sich jetzt bei einem anderen Paar eine Tänzerin erklatschen sollen. Aber er konnte nur mit Ulrike tanzen. Das sollte die ganze Welt verstehen. Zurück am Tisch wurde seine Tanzkunst und -kondition bestaunt. Das fand er beleidigend. Und sagte es auch.
Er fragte Frau von Levetzow, wer der sei, der ihn da abgeklatscht hatte.
Herr de Ror sei das. Vielleicht ein Grieche, sicher kein Türke. Im Orienthandel reich geworden. Sagenhaft reich. Und handelt nur mit den feinsten Sachen. Keine Gewürze, sondern Schmuck. Keine Königin, Fürstin, Gräfin in Europa, der er nicht etwas umgehängt oder aufgesetzt hat. Die Damen in Paris kennen ihn genau so wie die in London und Wien. Daneben übersetzt er noch. Gedichte. Aus vielen Sprachen, vorzüglich des Orients. Er spreche, heißt es, siebzehn Sprachen.
Woher sie das alles wisse, fragte er.
Von Franz. Der hat ihn überhaupt eingeladen heute. Er wohnt hier im Haus. In der zweitgrößten Suite. Womit sie sagen wollte, dass in der größten der Großherzog wohne. Bemerkenswert ist, dass er ein Mensch ohne Vornamen ist. Darüber wird spekuliert.
Auf Ulrikes frei gewordenen Platz setzte sich mit dem Satz: Ich gestatte mir, einen Augenblick bei Ihnen Platz zu nehmen, Graf Leuchtenberg. Wir sind verabredet, begann er.
Ich weiß, sagte Goethe.
Dann ist es ja gut, sagte der, dann bin ich doch nicht umsonst von Rom nach Marienbad gekutscht. Dass Sie sich erinnern, Herr Geheimrat, lässt mich hoffen. Unser Gespräch, ziemlich genau vor einem Jahr, in diesem Haus, wir haben uns noch übers Handwerkerhämmern beschwert, und jetzt, alles fertig, ein Märchenquartier. Der Klebelsberg ist schon ein Bursch. Gnä’ Frau, ich gratulier … also dass Sie sich erinnern, Herr Geheimrat, sagt mir, wir machen weiter, der Rhein-Donau-Kanal wird gebaut! Ich bin Österreicher, bitte, ein angeheirateter Bayer,Sie und ich, Herr von Goethe, gebären die Idee, bauen sollen’s andere …
Goethe unterbrach den Redefreudigen. So unhöflich es sei, aber ihm bleibe nichts anderes übrig, er müsse in diesem Augenblick zuschauen, wie hier auf Wiener Kommando getanzt werde. In Weimar wird nämlich noch dem Ancien Régime nachgetanzt. Er fühle sich als Weimarer Staatsminister a. D. verpflichtet, hier als Kundschafter tätig zu sein. Während er das sagte, hatte er Ulrike und Herrn de Ror keine Sekunde lang aus den Augen gelassen. Graf Leuchtenberg blieb nichts anderes übrig, als sich jetzt auch für die Tanzenden zu
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