Ein liebender Mann
solcher Badeort ist ein Kessel, in dem das Gerücht gekocht und dann in alle Welt versendet wird. Er konnte sich vorstellen, welche Damen der Promenade-Welt welchen Damen da und dort über ihn und Ulrike schrieben. Draußen in der Welt werden dann die Gerüchte von den Empfängerinnen verschärft. Bettina von Arnim wird dafür sorgen, dass in Berlin keine nennenswerte Adresse unversorgt bleibt. Goethe, 74, eine von Levetzow, 19, deren Mutter, zweimal Witwe, jetzt hinter einem reichen Wiener Politik-Karrieristen her, der sich auch noch selber am Klavier begleitet. Und eine Spur feiner, aber wirklich nur eine Spur, Caroline von Wolzogen, Schwester der Schillerwitwe von Lengefeld, Autorin durchaus reizender Romane. Sie wird an Freundin Auch-Caroline von Humboldt, des bedeutenden Wilhelm Frau, in ihrer prinzipiell mehrdeutigen Stilistik melden, dass einerseits Goethe nicht mehr ganz richtig im Kopfe sei, andererseits könne es einem auch imponieren, dass er noch so viel intus habe, das zum Sichverlieben reicht. Auf die Frauen sei es bei ihm ja nie angekommen, er habe immer eine gefunden, die er mit seinen Phantasien auftakeln konnte. Von diesen Levetzows wird es in diesen Klatschbriefen heißen, dass sie den Dreh raus haben, sich gewinnbringend in Szene zu setzen. Dann wird diese oder jene sittlich prominent bilanzieren: Jetzt,wo alle im Universalklatsch über Goethe herfallen, sei es origineller, ihn zu schonen. Eine Gewohnheit daraus machen: Goethe schonen. In Frankfurt sieht ihn vielleicht eine als Naturerscheinung, die keinen Charakter hat. Und diese oder jene Caroline wird etwas feiner, aber nicht ganz anders zurückschreiben.
Er konnte keinem Menschen sagen, wie wohl er sich fühlte, wenn er die vermutbaren Stimmungen seiner Kreise durchmusterte. Egal, ob in den Kulturquartieren Deutschlands oder hier in der Hitze des böhmischen Zauberkessels, seinetwegen mussten sie sich nicht beherrschen. Laut sollten sie rufen: Skandal! Geschmacklosigkeit! Verruchter Lustgreis! Trauriges Ende einer großen Figur! Alles, was mit Ulrike zusammenhing, beschwingte ihn. Er erlebte sie als Lebenszufuhr. Schon von mehr als einem unbestechlichen Zeugen war ihm jetzt einfach hingesagt worden, er sehe zur Zeit so gut aus, so strahlend, so kräftig, ja wirklich schön. Sollte er bei solchen Wirkungen die Ursache all dieser Wirkungen nicht anbeten! Ja, anbeten! Es gab doch auch genug schlichte Zustimmung, die Ulrike und er ebenso schlicht in sich aufnahmen. Das waren die Wirkungen, die zwischen ihnen besprochen wurden. Haben Sie gesehen, Exzellenz, die behäbige Frau, wie sie ihre drei Kinder auf uns hingewiesen hat und uns selber so lange zugewinkt hat, bis auch ihre Kinder winkten! Es gab sogar Beifall. Fast theatralisch. Allerdings fanden dann andere, das gehe denn doch zu weit, und wandten sich deutlich ab von den Beifallspendenden. So lebendig war die Promenade in Marienbad noch nicht gewesen.
Wenn er Ulrike heimbrachte, nahmen sie oft beide nochPlatz auf der erhabenen und blumenumstandenen Palais-Terrasse. Ulrike, die sich für Steine nicht interessieren konnte, wurde von Blumen angezogen wie von einer verlorengegangenen Heimat. An den die Terrasse säumenden Blumen musste sie immer wieder entlanglaufen, den Duft einziehen und dann mit geschlossenen Augen sagen, welcher Duft welche Blume sei. Das sind doch auch Majestäten, sagte sie, als sie sich wieder zu ihm setzte.
Meine Lieblingsmajestäten sind die Lupinen, sagte er.
Meine die Arnikas, sagte sie.
Und weil er ihr genau gegenübersaß, von ihrem Blick gehalten, sagte er, wegen Amerika in Marienbad brauche er jetzt als Gegenmittel eine weitere Runde ihres Hofzeremonien-Spiels. Sie nickte, schien ihm, erfreut.
Er also: Zuvörderst statte schuldigen Dank ab, dass Höchstdieselben mir Zeugnisse angenehmster Bemerktheit seit mehreren Tagen auf mancherlei erfreuliche Weise haben zukommen lassen, so dass ungesäumt Hoffnung aufkommen will, jene von mir mit Neigung aus dem geheimen Kern erzogene und noch ganz im Kinderzustand befindliche Blume möge von Höchstdieselben weiter günstig beachtet werden, was einem frohen Wachstum allein förderlich zu sein verspricht.
Und Ulrike: Ein frohes Wachstum wünscht die alles Blühen Liebende und geruht, mit unschätzbarem Maßstab zu messen, was einmal ins Leben berufen ist, so dass einer liebevollen Teilnahme der Trefflichste im echten Sinn sich erfreuen können soll.
Jetzt setzte die Kirche ein mit ihrem Sechsuhrläuten. Diese Kirche
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