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Ein liebender Mann

Ein liebender Mann

Titel: Ein liebender Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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wie er ist, wer er ist, was er ist. Er wird ihr gegenüber freier werden. Unwillkürlicher. Als den, derer durch sie ist, wird sie ihn kennen. Der wird er sein. Durch seine Liebe zu ihr.
    Jetzt schon, schon im Voraus, spürt er die Welt, wie sie dann sein wird. Friedlich, weil die einander haben, die einander brauchen. Dann brauchen sie nichts sonst. Die Welt ist kein Globus mehr mit Nerven. Sie ist eine Veranstaltung der Gunst, wenn die, die einander lieben, bei einander sind. Wenn das ein einziges Mal gelingt, Ulrike, wird die Welt verändert sein für immer. Kein Blatt und keine Blüte, kein Gefängniswärter und kein Präsident bleiben davon unberührt. Alle Übel der Welt sind entstanden durch Liebesmangel. Ulrike und er werden, weil sie einander genügen, die Welt von allen Übeln erlösen.
    Seine Vollmundigkeit fällt auch ihm selber auf, Ulrike. Die Tonart klingt wie Übertreibung, weil die Menschheit dressiert ist auf Unterdrückung, auf Niedermachen und Verschweigen. Auf Kleinmachen.
    Das Ausbruchartige seiner Äußerung kommt daher, dass ein Leben lang, sein Leben lang immer etwas fehlte. Die Liebe. Jetzt ist sie da. Es gibt sie also. Sie ist nicht bloß ein Sprachspiel. Sie ist die äußerst mögliche Bestimmtheit. Sie ist das Vorhandenste überhaupt. Das Ausfüllendste. Die größte Sicherheit.
    Ulrikes Sachlichkeit liefert er sich aus. Ist er ausgeliefert. Der Befund ist: Er kann auf alles in der Welt verzichten, auf sie aber nicht. Er ist definiert durch seine Liebe zu ihr. Er ist seine Liebe zu ihr. Eine Liebes-Erklärung: Wenn Hüte vorkommen. Wenn er Frauen mit ehrgeizigen Hüten sieht, probiert er Ulrike in Gedanken dieseHüte an. Jeder dieser Hüte, auch der verrückteste, ist erst schön, wenn Ulrike ihn trägt.
    Damit schloss er, saß dann und erlebte, dass er, wenn sie nicht selber da war, schreiben musste. Solang er schrieb, war sie da. Sobald er nicht schrieb, fehlte sie. Aber dass sie nur bis zum Frühstück fehlte, machte ihre Abwesenheit erträglich. Wenn er immer wissen wird, wann er sie wiedersieht, hatte er nichts zu leiden. Das war den Sommer lang geprobt worden. In den Pausen wuchs alles, was sich dann beim Wiedersehen in einer Gefühlsfülle entlud.

3.
    Von Karlsbad zur Diana-Hütte.
    Ulrike hatte ihn schon beim Frühstück so angeschaut, dass er wusste, die Mutter habe zugestimmt: Sie durften am allerletzten Nachmittag ohne die Familie zu Fuß zur Diana-Hütte hinaufgehen.
    Frau von Levetzow konnte es nicht unterlassen, in die Formulierung, mit der sie die beiden dann entließ, hineinzubringen, dass sie es sei, die diesen Spaziergang genehmige, und dass dieses Vertrauen von beiden, bitte, gewürdigt werde. Das war der biedere Inhalt. Aber wie sie ihre moralischen Mahnungen und Maßregeln ausdrückte, mit welchen Sprech- und Sprachfiguren, das stammte aus der besten französischen Komödie. Das heißt, es durfte nichts gesagt werden, was nicht lustig gesagt werden konnte. Madame Pompadour. Das Prachtsweib im Mutterdienst.
    Die Mahnerin und die Ermahnten konnten immer so tun, als sei alles ein Spiel. Den unmissverständlichen Ernst würden sie zu spüren bekommen, wenn sie die spielerischen Tonarten bloß für spielerische Tonarten hielten. Goethe machte diese Spielerei gern mit. Er gab sich als Rokoko-Virtuose, übertraf Madame Pompadour im Halbtheatralischen, es war ihm angenehm, dass die Familieseinen fürchterlichen Ernst als Komödie gelten lassen wollte. Also war der Abschied für vier Stunden – länger sollte, musste, durfte der Ausflug zur Diana-Hütte nicht dauern – eine perfekte Schluss-Szene für den dritten Akt der fünfaktigen Komödie mit dem Titel: Der Onkel als Neffe.
    Sobald sie wirklich allein waren, bedankte sich Goethe für die blassrote Schleife, mit der Ulrike ihn an seinem Geburtstag an Werthers Geburtstag erinnert hatte. Und entschuldigte sich dafür, dass er ihr halb aus Versehen, halb absichtlich ihren lavendelblauen Seidenhandschuh entrissen hatte. Bevor er sagen konnte, dass er den gern behielte, sagte sie:
    Er gehört doch Ihnen. Und das in einem ernsten Ton, der bei ihr selten war.
    Und Goethe: Wenn man sich für etwas zu sehr bedankt, weist man darauf hin, dass man das, wofür man sich bedankt, nicht verdiene.
    Soll ich diesen Spruch umdrehen, sagte sie.
    Sie dürfen doch alles, sagte er.
    Dann wolle sie vier Stunden lang Du sagen zu ihm. Exzellenz beibehalten, aber per Du. Das würde ihr gefallen, mit einer Exzellenz per Du zu sein.
    Ihm würde es

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