Ein liebender Mann
gefallen, sagte er, mit der Contresse Levetzow per Du zu sein.
Und sie: Für wie lange?
Für … Er tat, als denke er nach, rechne nach, und sagte dann im einfachsten Ton der Welt, als sei nichts so sinnvoll, so erwartbar, so unsensationell wie das, was er jetzt ganz und gar sorglos sage: Für immer.
Und sie: S w s w n n.
Und er, um ihr zu beweisen, dass er ihre Abkürzungssprache gelernt habe: So weit sind wir noch nicht. Und fügte hinzu: A b.
Sie: Was heißt denn das?
Er: Aber bald.
Ach, Exzellenz, sagte sie und ging unwillkürlich schneller.
Sie würde, wenn sie nicht mit ihm ginge, immer schneller gehen. Er hatte ihr auf der Promenade in Marienbad zuerst einmal beibringen müssen, wie langsam man auf einer Promenade zwischen so vielen namhaften Persönlichkeiten zu gehen habe. Sie hing dann zwar einigermaßen an seinem Arm, aber auch da übte sie immer wieder einen Vorwärtsdruck aus. Ihm tat es gut, ihren Beschleunigungswillen mit ebenso viel Energie zu bremsen, wie er ihn zu spüren bekam. Auf dem Weg von der Promenade zurück zum Palais Klebelsberg verfiel sie dann aber in ihren Schritt. Und er musste Schritt halten. Das ging ja ziemlich aufwärts. Er legte in Weimar, wenn er mit seinem Wagen hinausgefahren war, immer gern lange Strecken zurück. Und im Haus ging er stundenlang die Sechszimmerstrecke hin und her, schrieb stehend, Sessel und Sofa kamen in Frage nur beim Empfang von Besuchern. Ulrike war, wenn sie gehen durfte, wie es ihre Natur war, ein anderer Mensch. Ihr Gehen hatte nichts mit Eile zu tun. Sie war so leicht, ihre Glieder flogen ihr wie von selbst voraus, es war eine Pracht, sie gehen zu sehen, aber Schritt zu halten mit ihr fiel ihm schwer. Er war ein schwererer Mensch als sie.
Jetzt, auf dem steilen Weg zur Diana-Hütte, als sie, ohnees zu wollen und ohne es zu merken, trotz des steilen Wegs losstürmte, tat er, als sei das auch für ihn das richtige Tempo. Sollte sie so schnell, so leicht gehen, wie sie wollte, er würde kein bisschen zurückbleiben hinter ihr. Es war nicht vorstellbar, zurückzubleiben oder ihr nachzurufen, dass sie doch bitte ihr Tempo mäßige. Im Gegenteil, er holte sie nicht nur ein, er ging ihr in ihrem Tempo einen halben Schritt voraus. Sie erlebte das. Sie sah herüber und, weil er doch einen Kopf größer war, herauf. Sie waren so einig, so gleichgestimmt wie beim Tanz in Marienbad. Sie waren, wie sie da bergauf stürmten, gleich alt. Wenn sie jetzt gesungen hätte, hätte es ihn nicht gewundert. Aber sie sang nicht, sondern fing an, einen Text aufzusagen, den er kannte. Auswendig sagte sie eine Partie Text aus seinem Werther-Roman auf. Ohne Stocken oder Zögern oder sonstige Zeichen von Unsicherheit sagte sie eine ganze Werther-Episode auf. Mäßigte kein bisschen ihren Aufwärtsschritt, im Gegenteil, der Text schien sie nur noch leichter zu machen. Jetzt konnte er schon gar nicht mehr zurückbleiben oder um eine gemächlichere Schrittart bitten. Und das war es, was sie sagte:
Am 15. September
Man möchte rasend werden, Wilhelm, daß es Menschen geben soll ohne Sinn und Gefühl an dem Wenigen, was auf Erden noch einen Werth hat. Du kennst die Nußbäume, unter denen ich bei dem ehrlichen Pfarrer … mit Lotten gesessen, die herrlichen Nußbäume! die mich, Gott weiß, immer mit dem größten Seelenvergnügen füllten! Wie vertraulich sie den Pfarrhof machten, wiekühl! und wie herrlich die Äste waren! und die Erinnerung bis zu den ehrlichen Geistlichen, die sie vor so vielen Jahren pflanzten. Der Schulmeister hat uns den einen Namen oft genannt, den er von seinem Großvater gehört hatte; und so ein braver Mann soll er gewesen sein, und sein Andenken war mir immer heilig unter den Bäumen. Ich sage dir, dem Schulmeister standen die Thränen in den Augen, da wir gestern davon redeten, daß sie abgehauen worden – Abgehauen! Ich möchte toll werden, ich könnte den Hund ermorden, der den ersten Hieb dran that. Ich, der ich mich vertrauern könnte, wenn so ein paar Bäume in meinem Hofe stünden und einer davon stürbe vor Alter ab, ich muß zusehen. Lieber Schatz, eins ist doch dabei! Was Menschengefühl ist! Das ganze Dorf murrt, und ich hoffe, die Frau Pfarrerin soll es an Butter und Eiern und übrigem Zutrauen spüren, was für eine Wunde sie ihrem Orte gegeben hat. Denn sie ist es, die Frau des neuen Pfarrers (unser alter ist auch gestorben), ein hageres kränkliches Geschöpf, das sehr Ursache hat, an der Welt keinen Antheil zu nehmen,
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