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Ein liebender Mann

Ein liebender Mann

Titel: Ein liebender Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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gewesen hat sein können. Ulrike. Er küsste die Schleife. Dann räumte er eine mit schwarzem Samt ausgeschlagene Schachtel von Spangen, Broschen und Vorstecknadeln frei und bettete den Handschuh und die Schleife hinein. Dieses Behältnis ließ sich mit einem winzigen Schlüssel schließen. Das tat er. Aber wohin mit dem Schlüssel, dass er ihn nicht verliere und, wenn er ihn brauchte, sofort wisse, wo er ihn zu suchen habe? Das war neuerdings ein Kummer, dass er Dinge, die er besonders sorgfältig aufbewahren wollte, so sorgfältig aufbewahrte, dass er sie nicht mehr oder lange nicht mehr fand. Er rief Stadelmann, beauftragte ihn, sofort vorne in der Stadt, im Laden des Grafen Taufkirchen, das dünnste goldene Kettchen zu holen. Es müsse ihm zweimal um den Hals reichen und dann noch hinab auf die Brust. Das war ein Auftrag nach Stadelmanns Geschmack. Zwei Stunden später hing das goldene Schlüsselchen am dünnsten goldenen Kettchen um Goethes Hals.
    Am nächsten Morgen stand das Kristallglas mit den Namen im Efeuoval, mit Datum und Ort, auf dem Frühstückstisch. Ach ja, sagte er zu Frau von Levetzow, ichdanke Ihnen dafür, dass Sie mich den peinlichen Tag mit Ihnen verbringen ließen, ohne ihn zu nennen. Nennen wir ihn also den Tag des öffentlichen Geheimnisses. Danke. Danke auch für dieses Glas.
    Es soll Ihnen beweisen, sagte Frau von Levetzow, dass wir bei Ihnen waren, Sie bei uns. Efeu ist Erinnerung. Wir wollen nicht vergessen sein.
    Goethe sagte eher leise: Ich auch nicht. Dabei schaute er sie, wie er hoffte, kampflustig an. Und hätte sie noch länger angeschaut, wenn nicht Ulrike gesagt hätte:
    Ich auch nicht.
    Also schaute er Ulrike an.
    Frau von Levetzow hatte schon wieder Programm gemacht. Ein junger englischer Adliger muss Goethe sprechen wegen Verona, wo England doch durchgesetzt hat, dass Europa den griechischen Kampf gegen die türkische Besatzung nicht unterstützt. Goethe und Scott sollen eine Adresse richten an den König.
    Weil er wahrnahm, wie Ulrike ihn ansah, sagte er zu. Heute Abend, nach dem Essen. Obwohl ich weiß, Ulrike, wie sinnlos solche Gesten sind.
    Ulrike sagte: Die Engländer sind die modernste Nation und haben die altmodischste Regierung.
    Das hat sie sicher vom Grafen Sternberg, sagte Amalie.
    Pech gehabt, Petze, sagte Ulrike ganz liebenswürdig, der Herr Geheimrat war dabei, als der Graf das sagte.
    Die Mutter verbot weiteren Streit. Wir sehen uns um fünf zum Abschiedskonzert im Sächsischen Saal.
    Anna Paulina Milder. Vom Freund Zelter gepriesene große Stimme. Berlin liegt ihr zu Füßen, wie ihr zuerstWien zu Füßen lag. Und weil eins immer das andere gibt, hat die quirlige Lili Parthey, deren Vorbild Frau Milder ist, Frau Milders Wunsch, einmal Goethe vorsingen zu dürfen, mit nach Böhmen gebracht und auch an die richtige Adresse: Graf Klebelsberg. Er kommt mit ihr herüber nach Karlsbad. Nichts Öffentliches. Also die reine Kostbarkeit. Gewidmet Goethe als Abschiedskonzert.
    Der Sächsische Saal war mit Paravents abgeteilt, so dass ein Separée für vierzig oder fünfzig Gäste entstanden war. Man saß im Halbkreis um die Künstlerin und ihren Begleiter herum. Ulrike saß in diesem Halbkreis weit außen. Als hätte sie gewusst, dass Goethe, der in der Mitte hatte Platz nehmen müssen, sie dann, fast noch ohne hinzuschauen, anschauen konnte. Das gab der Veranstaltung ihren Sinn.
    Er wusste, dass von ihm nach dem Konzert eine kleine Rede erwartet wurde. Wenn ihm etwas gewidmet wurde, war eine kleine Rede fällig. Dass es eine vor nichts Halt machende Stimme war, hörte er, ohne dass er gleich zuhören konnte. Er wollte zuerst ein Stichwort für die kleine Rede entdecken. Dann sah er die aufrecht sitzende, fast ein wenig vorgeneigte Ulrike, sah sie im Bann dieser Stimme. Ihre Haare hatte sie so frei gelassen wie noch nie. In einem tiefblauen Kleid mit gleißend schwarzen Streifen. Hals und Kopf hoben sich aus einem großen schwarzen Schalkragen. Er musste immer wieder wegschauen von ihr, musste hinaufschauen zu der durchdringend singenden Künstlerin, aber er spürte, wenn er Ulrike anschaute, hörte er mehr, als wenn er der Sängerin beim Singen zusah.
    Er begann seine kleine Rede mit den klugen Sätzen, die bei solchen Gelegenheiten von ihm erwartet werdenkonnten. Graf Klebelsberg habe ihm gesagt, wie sehr diese Künstlerin, wenn man sie selber sehe und höre, alles übertreffe, was man erwartet habe. So Graf Klebelsberg, so jetzt er, Goethe. In diesem Saal saß er vor

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