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Ein liebender Mann

Ein liebender Mann

Titel: Ein liebender Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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sei. Das produziere dann eben seine Vieldeutigkeit, die es ihr schwer gemacht habe, ihn zu fassen. Nicht so in dieser Partie. Wenn jemand um einen Menschen trauert, sind wir, weil wir diesen Menschen nicht kennen, nicht so traurig wie dieser Trauernde. Die Nussbäume kennen wir! Ihnen sind wir so nahe, wie Werther ihnen ist. Wir trauern nicht mit ihm, sondern wie er. Wann immer in dieser Welt Nussbäume, überhaupt Bäume abgehauen werden, wird man sich an Werthers Trauer um seine Nussbäume erinnern, und man wird ihn inniger empfinden als jeden anderen literarischen Helden. Und sie empfinde jetzt endlich Goethe ganz und gar. Die Frage Und wer ist er? ist aus der Welt.
    Als sie aus dem letzten Waldstück heraustraten, in das von Wolken gerahmte Abendlicht, zuckte über den Westhimmelhin ein Wetterleuchten. Sie mussten stehen bleiben und das aufgeregte und aufregende Wetterleuchten anschauen.
    Ulrike trat vor ihn hin, griff nach seinen Händen, hob seine Hände und sagte: K V d O o M.
    Und er sagte: S w s w.
    Dann näherten sich die Münder einander, kamen einander so nah wie noch nie und blieben so nah bei einander, bis eine Elster mit ihrem schrillen Schrei die Zeitlosigkeit zerriss.
    Ach, Exzellenz, sagte sie.
    Und er: Ach, Ulrike.
    Als sie drunten die eng neben einander flussentlang liegenden Häuser von Karlsbad sahen, sagte sie, solange sie noch in der Du-Zone seien, müsse sie ein Geständnis loswerden.
    Und er: Er freue sich auf alles. Es war dann eine trockenere Mitteilung, als er erwartet hatte.
    Sie könne das nur sagen, wenn er verspreche, dass auf die Mitteilung keine Strafe oder Disziplinierung folge.
    Er versprach’s.
    Sie nehme an, sagte sie, er wisse, dass sein wunderbarer Stadelmann drunten in der Stadt Haare verkaufe, die er auf dem Kopf der Exzellenz regelmäßig ernte.
    Goethe nickte bekümmert. In Weimar habe er das abgestellt. Dass der Handel nach Böhmen verlegt worden sei, habe er nicht gewusst.
    Sie hat also bei Stadelmann Haare bestellt, mindestens drei, bekommen hat sie sieben, in einem Schmuckdöschen, sie ist sehr froh, von ihm diese sieben schönen langen Haarezu besitzen. Das hat gesagt werden müssen. Und wie versprochen: Keine Strafe.
    Goethe: Versprochen.
    Als sie den Sprudel passierten, der Goldene Strauß in Sicht kam, sagte sie: Hier endet die Du-Zone. Ach, Exzellenz.
    Und er: Ach, Ulrike.
    Aber, rief sie hell und fröhlich, es war der schönste Nachmittag dieses Sommers.
    Einverstanden, sagte er.
    Ein Blickwechsel, und sie legten die letzten Meter zurück, als seien sie beide gleichermaßen fröhlich.
    Und weil er sich in seinem Zimmer immer noch glücklich vorkam, musste er jetzt endlich an Frau Isolde Berlepsch schreiben, natürlich im Vierzeiler:
    Doch schäm ich mich der Ruhestunde.
    Mit euch zu leiden ist Gewinn,
    Denn für den Schmerz, den ihr empfunden,
    Seid ihr auch größer als ich bin.
    Herr John, bitte, Sie haben die zwanzig Briefe von Frau Berlepsch, schicken Sie ihr diese Antwort.
    Dem Schreiber John war nie anzusehen, was er, wenn er einen Auftrag kriegte, dachte.

4.
    Als er sich dann, nicht ohne Ironie, bei der Frau Oberaufseherin zurückmeldete, übernahmen Amalie und Bertha die Bewertung dieser Rückmeldung. Gewartet hatte man auf das Spaziergeh-Paar. Abgemacht war: Noch vor dem Abendessen in den Laden des Grafen Taufkirchen zu gehen, man hatte doch diesmal überhaupt noch nicht eingekauft. Also in die Stadt zu Graf Taufkirchen, der in seinem Laden alles hatte, was man nicht brauchte, aber um so lieber kaufte. Goethe machte mit. Kaufte Ohrringe mit böhmischem Granat für Amalie, ein Armband aus Emaille-Plättchen für Bertha, ein ganz kleines goldenes Gingkoblatt an einem dünnen Kettchen für Ulrike. Sie kaufte ihm ein silbernes Efeublatt an einem ebensolchen Kettchen. Die hier ausgestellten Holz- und die Steinbaukästen erinnerten ihn daran, dass er noch nichts für seine Enkelkinder in Weimar eingekauft hatte. Aber er brachte es nicht über sich, jetzt, inmitten der Levetzows und unter den Augen Ulrikes, als Großvater aufzutreten. Die Familie kaufte Gläser, Tassen, Kannen und Kännchen, ein chinesisches Teeservice, schwarze Holztassen, die Innenseite goldlackiert, eine persische Decke mit persischen Buchstaben, Blusen, Schals, Röcke und Söckchen, Sandalen, sogar persische,Goethe schaute zu, gab, wenn er gefragt war, seine Meinung.
    Der Graf Taufkirchen brachte alles hinauf in den Goldenen Strauß. Leider blieb er dann den ganzen Abend. Da er hier mit

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