Ein Liebeslied für dich - Miller, L: Liebeslied für dich
lag die Antwort auf der Hand. Es war Jesse gewesen, der sie in jener längst vergangenen Nacht ins Krankenhaus gebracht hatte. Sie hatte ihm gesagt, es seien nur Krämpfe, aber er hatte eins und eins zusammengezählt und zudem mitbekommen, was die Schwestern und Ärzte untereinander redeten.
„Er war bei mir“, sagte sie.
„Er, aber ich nicht!“
Sie stellte das Rührei auf den Tisch, zusammen mit dem Besteck und zwei Scheiben Toast. „Es hätte nichts geändert. Wenn du da gewesen wärst, meine ich. Ich hätte das Baby dennoch verloren, Brad.“
Er schloss kurz die Augen, wie jemand, der einen Tiefschlag verkraften musste, ohne sich dagegen zu wehren.
„Du hättest es mir sagen müssen!“, beharrte er.
Sie schob ihm das Rührei hin. Widerwillig griff er nach der Gabel und begann zu essen.
Meg setzte sich auf die Bank und drehte sich zu ihm. „Was hätte es gebracht?“
„Ich hätte … helfen können.“
„Wie denn?“
Er seufzte. „Du musstest es allein durchstehen. Das ist nicht richtig.“
„Auf dieser Welt sind viele Dinge nicht richtig“, entgegnete sie leise. „Man muss … damit fertig werden.“
„Und zwar so, wie die McKettricks es immer tun“, sagte Brad ohne jede Bewunderung. „Manche Leute nennen das trotzig.“
Meg stützte das Kinn auf die Hand und sah ihm beim Essen zu. „Ich würde es wieder so machen“, gab sie zu. „Es war hart, aber ich habe es überstanden.“
„Allein.“
„Allein“, wiederholte sie.
„Es muss mehr als nur hart gewesen sein. Du warst erst neunzehn!“
„Du auch.“
„Warum hast du deiner Mutter nichts gesagt?“
Da brauchte sie nicht lange zu überlegen. Eve hatte genug Probleme gehabt. Ein schwerer Unfall, danach die Abhängigkeit von Schmerzmitteln und Alkohol und schließlich auch noch die Verantwortung für McKettrickCo.
„Sie hatte genug durchgemacht“, antwortete Meg nur. Sie brauchte es ihm nicht zu erklären, er kannte die turbulente Geschichte ihrer Familie.
„Sie hätte mich durch den Fleischwolf gedreht.“ Brad versuchte zu lächeln. Es gelang ihm nicht, denn er stand noch immer unter Schock.
„Wahrscheinlich.“
Er leerte den Teller und schob ihn von sich. „Was machen wir jetzt?“
„Keine Ahnung. Vielleicht … nichts.“
Brad streckte die Hand nach ihrer aus, zog seine dann jedoch zurück. Daraufhin stand er auf und stellte den Teller mit dem Besteck ins Spülbecken.
„War es ein Junge oder ein Mädchen?“, fragte er mit dem Rücken zu Meg.
„Ich habe nicht gefragt. Ich glaube, ich wollte es gar nicht wissen. Vermutlich wäre es ohnehin zu früh gewesen, um es sagen zu können. Ich war erst wenige Wochen schwanger.“
Endlich drehte er sich um, lehnte sich gegen die Spüle und verschränkte die Arme. „Stellst du dir jemals vor, wie es gewesen wäre, wenn er oder sie überlebt hätte?“
Dauernd, dachte Meg.
„Nein“, log sie.
„Sicher …“ Offenbar glaubte er ihr nicht.
„Es … tut mir leid, Brad. Dass du es von jemand anderem erfahren musstest, meine ich.“
„Aber nicht, dass du es mir verschwiegen hast?“
„Du warst fort und hattest viel zu tun. Hätte ich dich hierher geschleift, hättest du deine einmalige Chance, als Musiker Karriere zu machen, nicht bekommen. Du hättest mich dafür gehasst.“
Endlich ging er zu ihr und hob ihr Kinn an. „Ich könnte dich niemals hassen, Meg“, sagte er fast feierlich.
Einige Sekunden lang schauten sie einander nur in die Augen.
„Ich sollte jetzt fahren“, brach er schließlich das Schweigen. „Es war ein höllischer Tag.“
„Bleib“, hörte Meg sich sagen. Sie dachte nicht daran, Brad in ihr Bett zu bekommen – jedenfalls nicht nur . Er war gerade meilenweit geritten, noch dazu in einem Schneesturm. Er war durchgefroren und wusste erst seit kurzer Zeit, dass er ein Kind gezeugt und wieder verloren hatte.
Er schwieg wieder.
„Du solltest jetzt nicht allein sein“, sagte Meg. Und ich auch nicht.
Natürlich wusste sie, was passieren würde, wenn er blieb. Und sie wusste, dass es ein Fehler wäre. In all den Jahren waren sie einander fremd geworden, nachdem sie so unterschiedliche Leben geführt hatten. Es war noch zu früh. Sie durften jetzt nichts überstürzen.
Aber sie brauchte ihn in dieser Nacht und sei es auch nur, um in seinen Armen zu liegen.
Und er sehnte sich ebenso danach.
Sein Lächeln fiel matt aus. „Woher wissen wir, dass deine Cousins nicht auf dem Dach landen?“
„Das wissen wir nicht.“ Sie seufzte.
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