Ein Liebeslied für dich - Miller, L: Liebeslied für dich
wusste, dass er das nicht ertragen würde.
Deshalb ging er.
In ihren flauschigen Bademantel gehüllt, stand Meg in der Küche und atmete den würzigen Duft des frischen Kaffees ein, den Brad für sie gekocht hatte.
Muss die Pferde füttern , las sie auf dem Notizzettel .
Der Mann ist ein Dichter, dachte sie und ging an den Kühlschrank. Sie riss die Tür auf und suchte nach etwas, das ein Frühstück abgeben konnte. Die letzten Eier hatte sie für Brad zubereitet, und die Auswahl war nicht mehr sehr groß – drei Oliven, etwas Käse und die vertrockneten Reste der Pizza von der letzten Woche.
Seufzend schloss sie die Kühlschranktür. Sie würde erst zum Drive-in fahren und danach einkaufen müssen – alles noch vor dem Mittagessen mit Cheyenne. Meg strich sich durchs zerzauste Haar. Zunächst war sie enttäuscht gewesen, dass Brad nicht mehr da gewesen war, jetzt gefiel es ihr, dass er sie nicht sehen konnte. Sie sah aus wie … na ja, wie eine Frau, die die halbe Nacht mit schweißtreibendem Sex zugebracht hatte.
Sie ging nach oben, duschte und zog Jeans und einen leichten blauen Pullover an. Kaum war sie wieder unten, läutete das Telefon.
Brad?
Sie warf einen Blick aufs Display.
Es war ihre Mutter.
Meg nahm ab. „Hallo, Mom. Ich wollte gerade aus dem Haus gehen …“
„Du setzt dich besser hin!“, erwiderte Eve.
Sie erstarrte. „Warum denn? Ist mit Sierra alles in Ordnung? Oder ist Liam etwas …“
„Den beiden geht es gut. Es ist etwas anderes.“
Meg stieß den angehaltenen Atem aus und lehnte sich gegen die Arbeitsplatte. „Was?“
„Dein Vater hat sich heute Morgen bei mir gemeldet. Er will dich sehen.“
Ihre Knie wurden weich. Sie war ihrem Vater noch nie begegnet, hatte nie mit ihm telefoniert oder von ihm auch nur eine Karte zu Weihnachten oder zum Geburtstag bekommen. Sie war nicht einmal sicher, wie er hieß – er verwendete so viele Pseudonyme.
„Meg?“
„Ich bin noch dran“, sagte sie. „Ich will ihn nicht sehen.“
„Ich wusste, ich hätte es dir unter vier Augen sagen sollen.“ Eve seufzte. „Aber ich war so …“
„Mutter, hast du gehört, was ich gerade gesagt habe? Ich will meinen Vater nicht sehen.“
„Er behauptet, dass er todkrank ist.“
„Das tut mir wirklich leid für ihn, aber ich will trotzdem nichts mit ihm zu tun haben.“
„Meg …“
„Ich meine es ernst, Mutter. Er hat für mich nie existiert. Was sollte er mir nach all der Zeit schon zu sagen haben?“
„Ich weiß es nicht“, antwortete Eve.
„Und wenn er mit mir sprechen will, warum hat er dann dich angerufen?“ Kaum hatte sie es ausgesprochen, wünschte Meg, sie hätte den Mund gehalten.
„Ich glaube, er hat Angst.“
„Aber vor dir hatte er keine Angst!?“
„Die hat er abgelegt, glaube ich“, erwiderte Eve. Über Megs Vater hatte sie bisher so gut wie gar nicht gesprochen. Jetzt schien es ihr plötzlich sehr wichtig zu sein, dass ihre Tochter ihn traf. Was war los? „Hör mal, warum kommst du nicht im Hotel vorbei, und ich mache dir Frühstück. Und dann reden wir.“
„Mom …“
„Blaubeerpfannkuchen und auf Ahornholz geräucherter Schinken. Das magst du doch am liebsten.“
„Na gut“, gab Meg nach, denn sie hatte einen Riesenhunger. „Ich bin in zwanzig Minuten da.“
„Gut.“
Ihre Mutter klang ziemlich selbstzufrieden, fand Meg. Eve war es gewöhnt, ihren Willen durchzusetzen – fast dreißig Jahre lang hatten alle nach Eve McKettricks Pfeife getanzt.
Wenig später klopfte Meg an die Tür der Hotelsuite, die ihre Mutter bewohnte.
Als die Tür aufging, stand ein hochgewachsener Mann vor ihr, dessen Miene zugleich unsicher und hoffnungsvoll war. Die Ähnlichkeit zu ihm war nicht zu verkennen.
„Hallo, Meg!“, sagte ihr Vater.
Nachdem er die Pferde gefüttert hatte, ließ Brad sie auf die Weide und kehrte nicht in das große einsame Haus zurück, sondern ging zu dem Wäldchen, in dem Big John begraben lag. Inmitten der alten Gräber, in denen längst verstorbene Mitglieder der Familien O’Ballivan und Blackstone lagen, sah dessen Grabstein sehr neu aus.
Brad hatte den kleinen Familienfriedhof als Erstes besuchen wollen, als er auf die Ranch zurückgekehrt war, aber erst jetzt kam er dazu.
Im Schatten der Bäume, die bereits das herbstliche Laub abwarfen, wollte er den Hut abnehmen, doch dann fiel ihm ein, dass er gar keinen trug. Er beugte sich vor, um die braunen Blätter von der Inschrift zu fegen.
Höchste Zeit, dass du dich blicken
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