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Ein Lied für meine Tochter

Ein Lied für meine Tochter

Titel: Ein Lied für meine Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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das Max erklären? Oder meiner Mutter, die gerade mit Einkaufstüten in der Hand zur Tür hereinstolpert? »Okay«, sage ich zu mir selbst. »Du kannst das. Du musst einfach nur die Bruchstücke zusammensuchen.«
    In der Küche finde ich einen schwarzen Müllsack, eine Kehrschaufel und einen Handbesen. Dann werfe ich die Bruchstücke des Radioweckers in den Sack und kehre den Rest mit dem Handbesen zusammen.
    Die Bruchstücke zusammensuchen.
    So einfach ist das. Wirklich. Zum ersten Mal seit achtundvierzig Stunden habe ich wieder ein Ziel. Zum zweiten Mal in zehn Minuten rufe ich in Dr. Gelmans Praxis an. »Ich bin’s noch mal. Zoe Baxter«, melde ich mich. »Ich würde gerne einen Termin machen.«
    Es gibt mehrere Gründe, warum ich schon am ersten Abend mit Max nach Hause gegangen bin:
    1.  Er roch wie der Sommer.
2.  Ich war nicht die Art Mädchen, die direkt beim ersten Mal mit einem Jungen nach Hause geht. Nie.
3.  Er hat stark geblutet.
    Obwohl es die Hochzeit seines Bruders war, hat er die ganze Zeit über nur auf die nächste Pause meiner Band gewartet. Während meine Jungs auf eine Zigarette rausgingen oder sich ein Glas Wasser an der Bar holten, schaute ich von der Bühne runter und sah Max, der mit einem Softdrink auf mich wartete. Damals bin ich davon ausgegangen, dass er aus Solidarität auf Alkohol verzichtete. Schließlich musste ich hier arbeiten, also durfte ich auch nichts Alkoholisches trinken. Und ich erinnere mich daran, wie schrecklich süß ich das gefunden habe. Die meisten anderen Jungs hätten das nicht getan.
    Ich kannte das glückliche Brautpaar nicht – schließlich war ich erst im letzten Moment für die kranke Sängerin eingesprungen –, aber es war schwer zu glauben, dass Reid und Max miteinander verwandt waren. Und das betraf nicht nur das Aussehen. Reid war groß und athletisch wie ein typischer Golf- oder Racquetball-Spieler, während Max ein wahres Kraftpaket war, und das nicht nur äußerlich, sondern auch von seinem Verhalten her. Reids Freunde schienen allesamt Banker und Anwälte zu sein, die sich selbst gerne reden hörten, und ihre Freundinnen und Ehefrauen hatten Namen wie Muffy und Winks. Reids neue Frau, Liddy, kam aus Mississippi und schien Jesus ein wenig zu oft zu danken: für das Wetter, für den Wein und für die Tatsache, dass ihre Oma Kate lange genug gelebt hatte, um noch einen Ring an Liddys Finger zu sehen. Verglichen mit dem Rest der Hochzeitsgesellschaft war Max richtig erfrischend. Für ihn galt: Was man sieht, das bekommt man auch. Gegen Mitternacht, als unser Auftritt sich planmäßig dem Ende näherte, wusste ich, dass Max eine eigene Landschaftsgärtnerei besaß, dass er im Winter einen Schneepflug fuhr, dass sein Bruder für die silbern schimmernde Narbe auf seiner Wange verantwortlich war und dass er gegen Meeresfrüchte allergisch war. Und er wusste, dass ich das Alphabet rückwärts singen konnte, dass ich zehn Instrumente spielte und dass ich eine Familie wollte. Eine große Familie.
    Ich drehte mich zur Band um. Als letzter Song stand Donna Summers’ Last Dance auf unserer Liste, doch die Leute hier schienen mir nicht gerade Disco-Gänger zu sein. Also fragte ich die Jungs hinter mir: »Kennt ihr Etta James?« Und der Keyboarder spielte die ersten Takte von At Last .
    Wenn ich singe, dann schließe ich manchmal die Augen. Jeder Atemzug hat eine Harmonie, das Schlagzeug wird zu meinem Puls, und die Melodie strömt durch mein Blut. Das bedeutet es, wenn man sagt, dass man sich in der Musik verliert, wenn man selbst zur Sinfonie wird.
    Als ich zu Ende gesungen hatte, erhob sich donnernder Applaus. Ich hörte Reid laut Bravo! jubeln, und Liddys Freundinnen schnatterten: … die beste Hochzeitsband, die ich je gehört habe … wir müssen uns ihre Karte geben lassen …
    »Danke. Vielen Dank«, murmelte ich, und als ich die Augen schließlich öffnete, schaute Max mich an.
    Plötzlich polterte ein Mann auf die Bühne zu, prallte gegen die Kante und sackte auf die Bretter. Er war sturzbetrunken, und seinem Südstaatenakzent nach zu urteilen, gehörte er zu Liddys Familie oder Freunden. »Hey, Mädchen«, krächzte er und packte den Saum meines schwarzen Kleids. »Weißt du, was du bist?«
    Der Bassist trat einen Schritt vor, um mich zu beschützen, doch Max eilte bereits zu meiner Rettung. »Sir«, sagte er höflich. »Ich denke, Sie sollten jetzt besser gehen …«
    Der Betrunkene stieß ihn beiseite und packte meine Hand. »Du«, lallte

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