Ein Lied für meine Tochter
er, »du bist eine verdammte Nachtigall!«
»Man flucht vor einer Dame nicht«, sagte Max und schlug den Kerl. Der Besoffene fiel in einen kreischenden Reigen von Brautjungfern, und ihre langen Kleider bremsten seinen Sturz.
Einen Augenblick später packte ein wahres Monstrum im Smoking Max von hinten und riss ihn herum. »Niemand schlägt meinen Daddy ungestraft«, knurrte der Kerl und schickte Max bewusstlos zu Boden.
Dann brach Chaos aus. Hatfields stürzten sich auf McCoys, Tische wurden umgeworfen, und alte Damen rissen einander die Schleifen von den Hüten. Die Band schnappte sich ihre Instrumente und versuchte, sie vor der Zerstörung zu retten. Ich sprang von der Bühne und beugte mich über Max. Er blutete aus dem Mund und aus einer Platzwunde an der Stirn, wo er beim Sturz gegen die Bühnenkante geprallt war. Ich legte seinen Kopf in meinen Schoß und schützte ihn vor dem Tumult. »Das«, sagte ich, kaum dass sich seine Augen öffneten, »war ziemlich dumm.«
Er grinste. »Och, das würde ich nicht sagen«, widersprach er mir. »Immerhin liege ich jetzt in deinen Armen.«
Er blutete so stark, dass ich darauf bestand, ihn in die Notaufnahme zu bringen. Max gab mir die Schlüssel zu seinem Truck und lies mich fahren, während er sich eine Serviette auf die Stirn drückte. »Reids Hochzeit wird so schnell wohl auch niemand vergessen«, sinnierte er.
Ich erwiderte nichts darauf.
»Du bist sauer auf mich«, sagte Max.
»Das war ein Kompliment«, sagte ich schließlich. »Du hast einen Kerl geschlagen, weil er mir ein Kompliment gemacht hat.«
Max zögerte. »Du hast recht. Ich hätte ihn dir das Kleid vom Leib reißen lassen sollen.«
»Er hätte mir nicht das Kleid vom Leib gerissen. Die Jungs von der Band hätten ihn aufgehalten, bevor …«
»Ich wollte aber dein Retter sein«, erklärte Max, und ich starrte ihn im grünen Licht der Armaturen an.
Im Krankenhaus wartete ich mit Max in einer Kabine. »Du wirst genäht werden müssen«, sagte ich.
»Ich fürchte, da kommt noch viel mehr auf mich zu als das«, entgegnete er. »Mein Bruder wird zum Beispiel nie wieder ein Wort mit mir reden.«
Bevor ich etwas darauf erwidern konnte, zog ein Arzt den Vorhang beiseite, trat ein und stellte sich vor. Dann zog er sich Gummihandschuhe über und fragte, was passiert sei. »Ich bin gegen etwas gerannt«, antwortete Max.
Er zuckte unwillkürlich zusammen, als der Arzt die Wunde abtastete. »Und gegen was?«
»Gegen eine Faust.«
Der Arzt holte eine kleine Lampe aus der Tasche und forderte Max auf, dem winzigen Licht mit dem Blick zu folgen. Ich beobachtete, wie seine Augen nach oben rollten und dann von rechts nach links. Dann zwinkerte er mir zu.
»Sie werden genäht werden müssen«, wiederholte der Arzt meine Worte. »Offenbar haben Sie keine Gehirnerschütterung, aber trotzdem wäre es nicht schlecht, wenn heute Nacht jemand bei Ihnen bleiben würde.« Er zog den Vorhang wieder auf. »Ich bin mit Nadel und Faden gleich wieder zurück.«
Max schaute mich fragend an.
»Natürlich bleibe ich«, sagte ich. »Schließlich hat das der Arzt verordnet.«
Eine Woche später beginne ich wieder mit der Arbeit auf der Station für Brandopfer. Meine erste Patientin ist Serena, ein vierzehnjähriges Mädchen aus der Dominikanischen Republik. Sie ist eine meiner Stammpatienten. Bei einem Hausbrand hat sie sich schwerste Verbrennungen zugezogen. Zuerst wurde sie vor Ort behandelt. Dabei waren jedoch derart entstellende Narben geblieben, dass sie sich zwei Jahre lang im Haus ihrer Familie versteckt hatte, bevor sie nach Rhode Island gekommen war, um hier Hauttransplantationen zu bekommen. Immer wenn ich im Krankenhaus zu tun habe, gehe ich für eine Stunde zu ihr, auch wenn zunächst niemand verstehen wollte, wie Musiktherapie ihr helfen sollte. Aufgrund einer Linsentrübung, die entstanden war, weil ihre vernarbten Augenlider sich nicht schließen wollten, ist Serena blind, und sie kann ihre Hände kaum bewegen. Zuerst habe ich ihr einfach vorgesungen, und irgendwann hat sie dann mitgesungen. Schließlich habe ich eine Gitarre so für sie zurechtgemacht, dass sie in offener Stimmung mit einem Bottleneck darauf spielen konnte. Als Orientierung dienen ihr dabei Klettstreifen, die ich hinten am Hals befestigt habe. So kann sie die Akkorde ertasten.
»Hi, Serena«, sage ich, als ich an ihre Tür klopfe.
»Hi, Fremde«, antwortet sie. Ich höre das Lächeln in ihrer Stimme.
Ich weiß, es ist selbstsüchtig von
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