Ein Lied für meine Tochter
Kabine ist leer, genügend Platz für uns beide. Die Frau wird als erste hineingefahren, dann dreht mein Pfleger den Rollstuhl, damit auch ich hineinpasse.
Max versperrt ihm jedoch den Weg. »Wir werden den nächsten nehmen«, sagt er.
Wir fahren in Max’ Truck nach Hause. Es riecht nach Dünger und frisch gemähtem Gras, obwohl weder Säcke noch Rasenmäher auf der Ladefläche liegen. Ich frage mich, wer sich wohl gerade um das Geschäft kümmert. Max schaltet das Radio an und stellt einen Musiksender ein. Normalerweise macht er das nicht gerne. Max zieht Nachrichtensender vor. Er hasst es, beim Fahren Musik zu hören. Ich hingegen kann noch nicht einmal eine halbe Meile fahren, ohne laut mitzusingen.
»Es soll dieses Wochenende schön werden«, sagt Max. »Heiß.«
Ich schaue aus dem Fenster. Wir stehen an einer roten Ampel, und in dem Wagen neben uns sitzt eine Mutter mit zwei Kindern, die auf dem Rücksitz Kekse knabbern.
»Ich dachte, wir könnten vielleicht an den Strand fahren.«
Max surft, und der Sommer neigt sich allmählich seinem Ende zu. Normalerweise macht er das immer um diese Zeit. Nur ist leider nichts mehr normal. »Vielleicht«, erwidere ich.
»Ich dachte«, fährt Max fort, »das wäre vielleicht ein guter Ort für … du weißt schon …« Er schluckt. »Die Asche.«
Wir haben das Baby Daniel genannt und ihn zur Verbrennung freigegeben. Die Asche werden wir in einer winzigen Urne bekommen, die wie ein Babyschuh mit blauer Schleife geformt ist. Wir haben nicht wirklich darüber gesprochen, was wir damit machen wollen, aber ich finde, dass Max nicht unrecht hat. Ich will die Urne nicht auf die Anrichte stellen. Und ich will sie nicht im Hinterhof begraben, so wie wir es mit unserem Kanarienvogel gemacht haben, als er gestorben ist. Der Strand ist ein schöner Ort, wenn nicht sogar ein bedeutungsvoller. Aber was könnte ich sonst auch tun? Es ist ja nicht so, als wäre mein Baby in Venedig gezeugt worden, sodass wir seine Asche in den Po schütten könnten, oder unter den Sternen Tansanias, wo ich die Asche in den Wind der Serengeti hätte streuen können. Daniel wurde in einer Petrischale gezeugt, in einer Klinik, und ich kann die Asche ja wohl kaum dort im Flur verteilen.
»Vielleicht«, sage ich wieder. Mehr kann ich Max im Augenblick nicht geben.
Als wir in unsere Einfahrt einbiegen, sehe ich den Wagen meiner Mutter bereits dort stehen. Sie wird tagsüber bei mir bleiben, während Max arbeitet. Sie kommt zum Truck, um mir herauszuhelfen. »Was kann ich dir bringen, Zoe?«, fragt sie. »Eine Tasse Tee? Etwas Schokolade? Wir können uns auch die True Blood -Folgen ansehen, die du aufgenommen hast …«
»Ich will mich einfach nur hinlegen«, sage ich, und als Mom und Max mir helfen wollen, halte ich sie zurück. Langsam gehe ich den Flur hinunter und stütze mich dabei an der Wand ab. Doch anstatt in unser Schlafzimmer zu gehen, verschwinde ich in den kleinen Raum rechts davon.
Bis vor einem Monat war das mein provisorisches Büro, der Platz, wo Alexa einmal in der Woche die Buchhaltung für mich erledigt hat. Aber dann, an einem einzigen Wochenende, haben Max und ich den Raum sonnengelb gestrichen und eine Krippe sowie einen Wickeltisch hineingestellt, die wir auf einem Wohltätigkeitsbasar für vierzig Dollar ergattert hatten. Während Max sich um die Schwerarbeit gekümmert hat, habe ich die Bücher in ein Regal sortiert, all meine Lieblingstitel aus der Kindheit: Wo die Wilden Kerle wohnen, Harry und der Schmutzige Hund und Kronkorken zu verkaufen .
Doch als ich die Tür öffne, muss ich nach Luft schnappen. Statt Krippe und Wickeltisch steht dort der alte Tapeziertisch, den ich immer als Schreibtisch benutzt habe. Mein Computer ist angeschlossen und läuft, daneben stapeln sich meine Akten, und meine Instrumente – Trommeln und Gitarren – stehen an der Wand.
Der einzige Hinweis darauf, dass das eigentlich einmal ein Kinderzimmer werden sollte, sind die nach wie vor sonnengelb gestrichenen Wände. Es ist die Farbe, die man in sich fühlt, wenn man lächelt.
Ich lege mich auf den Teppich und ziehe die Knie an die Brust. Max’ Stimme hallt durch den Flur. »Zoe? Zoe? Wo bist du?« Ich höre, wie er die Schlafzimmertür öffnet, rasch hineinschaut und wieder geht. Das Gleiche macht er im Badezimmer. Dann öffnet er auch hier die Tür und sieht mich. »Zoe«, sagt er. »Stimmt was nicht?«
Ich schaue mich in dem Raum um, diesem Nicht-Kinderzimmer, und ich denke an
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