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Ein Lied für meine Tochter

Ein Lied für meine Tochter

Titel: Ein Lied für meine Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Richterin mich, »möchten Sie dem Gericht noch etwas sagen?«
    Ich schüttele den Kopf. »Nicht dem Gericht, Euer Ehren. Aber ich würde Zoe gerne noch was sagen.« Ich warte, bis sie mich anschaut. Ihr Blick ist leer, als wäre ich nur ein Fremder, den sie in der U-Bahn getroffen hat. Es ist, als hätte sie mich nie gekannt.
    »Es tut mir leid«, sage ich.
    Weil wir in Rhode Island leben, einem vorwiegend katholischen Staat, dauert es eine Weile, bis man wirklich geschieden ist. Nachdem wir siebenundzwanzig Tage haben warten müssen, bevor wir vor Gericht gehen konnten, dauert es noch einmal einundneunzig Tage, bis wir das Urteil bekommen, als wolle der Richter dem Paar noch einmal Zeit geben, alles zu überdenken.
    Ich gebe zu, die meiste Zeit bis dahin war ich zugedröhnt.
    Schlechte Angewohnheiten sind wie Blutweiderich. Taucht diese Pflanze in Ihrem Garten auf, glauben Sie zuerst, sie in den Griff zu bekommen – schließlich sind es ja nur ein paar blutrote Blüten. Doch sie breitet sich rasch aus, und bevor Sie sich versehen, sind Sie davon eingeschlossen und sehen nur noch Rot, während sie sich fragen, wie das Ganze so außer Kontrolle hat geraten können.
    Ich hatte mir geschworen, nie zu den achtzig Prozent ehemaliger Alkoholiker zu gehören, die die gleichen Fehler noch einmal machen. Und doch bin ich jetzt hier und verstecke Flaschen hinter den Kacheln von Reids Badezimmer, hinter den Büchern auf seinen Regalen und in einer Ecke der Matratze im Gästezimmer, die ich sorgfältig ausgeschnitten habe. Ich schütte Milch in den Ausguss, wenn Liddy nicht zu Hause ist, und erkläre mich dann freundlich bereit, abends noch rasch neue zu holen, damit wir zum Frühstück was zu trinken haben. Doch dann lege ich auf dem Weg zurück vom Supermarkt noch einen raschen Zwischenstopp in einer Bar ein und genehmige mir einen Drink. Wenn ich weiß, dass ich andere Personen treffen werde, dann trinke ich nur Wodka, den kann man im Atem nicht riechen. Ich habe Gatorade unter dem Bett, um jederzeit den Kater bekämpfen zu können, und ich achte sorgfältig darauf, immer in unterschiedliche Bars in unterschiedlichen Orten zu gehen, um so den Eindruck zu erwecken, dass ich mir nur dann und wann einen genehmige. Vor allem in meinem eigenen Garten soll mich niemand erkennen und an Reid verpetzen. Eines Abends bin ich nach Wilmington gefahren und habe mir genug Mut angetrunken, um an unserem alten Haus vorbeizufahren, das jetzt nur noch Zoe gehört. Im Schlafzimmer brannte Licht, und ich fragte mich, was sie wohl gerade machte. Vielleicht las sie ja oder machte sich die Nägel.
    Dann fragte ich mich, ob wohl jemand bei ihr war, und ich raste mit quietschenden Reifen davon.
    Natürlich rede ich mir ein, dass ich kein Alkoholproblem habe, schließlich bemerkt ja auch niemand meine Sauferei.
    Ich wohne noch immer bei Reid, hauptsächlich weil er mich bis jetzt noch nicht rausgeworfen hat. Allerdings nehme ich an, dass er mich nicht bei sich wohnen lässt, weil er mich so gerne um sich hat, sondern eher aus christlichem Mitgefühl. Vor seiner Hochzeit mit Liddy ist mein Bruder ›wiedergeboren‹ worden ( War das erste Mal etwa nicht gut genug? , hat Zoe mich einmal gefragt). Er trat einer evangelikalen Gemeinde bei, die sich sonntags immer in der Cafeteria der örtlichen Highschool traf, und schließlich wurde er zu deren Kassenwart. Ich bin kein religiöser Mensch – jedem das Seine, nehme ich an –, und irgendwann war es so weit, dass wir immer weniger von meinem Bruder und seiner Frau sahen, und das nur, weil Reid und Zoe sich bei jedem Familientreffen streiten mussten: über Roe gegen Wade , über Politiker, die in Sexskandale verwickelt waren, und über Gebetsstunden in öffentlichen Schulen. Als wir sie das letzte Mal besucht haben, ist Zoe tatsächlich nach der Vorspeise gegangen, weil Reid sie dafür kritisiert hatte, dass sie einem Brandopfer einen Song von Green Day vorgesungen hatte. »Das sind Anarchisten«, hatte Reid gesagt – derselbe Reid, der Led Zeppelin gehört hat, als wir noch Kinder waren. Ich dachte, seine Kirche hätte irgendetwas gegen die Texte, doch wie sich herausstellte, war es der Charakter der Songs, den Reid als ›böse‹ betrachtete. »Wirklich?«, hatte ihn Zoe ungläubig gefragt. »Welche Noten genau? Welche Akkorde? Und wo steht das in der Bibel?« Ich erinnere mich nicht mehr daran, wie genau die Diskussion eskaliert ist, doch zu guter Letzt ist Zoe so schnell aufgesprungen, dass sie

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