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Ein Lied für meine Tochter

Ein Lied für meine Tochter

Titel: Ein Lied für meine Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Nordoster der Saison, und ich kann das Geld gut gebrauchen, das er bringt.
    Als ich einsteige, beschlägt die Windschutzscheibe von meinem Atem. Ich schalte die Heizung ein und sehe die roten Lichter des Prius, der dem Barkeeper gehört, vom Parkplatz rutschen. Dann lege ich den Gang ein und fahre in Richtung meines ersten Kunden.
    Es ist glatt, aber es ist nicht das erste Mal, dass ich unter solchen Bedingungen fahre. Ich schalte das Radio an, und die Stimme von John Tesh erfüllt das Führerhaus. Haben Sie gewusst, dass Ihr Magen zwanzig Minuten braucht, um Ihrem Gehirn mitzuteilen, dass er voll ist?
    »Nein, das habe ich nicht gewusst«, sage ich laut. Aufgrund der Schneemassen kann ich mein Fernlicht nicht benutzen, und so hätte ich die Kurve fast übersehen. Meine Hinterräder drehen durch, und ich gerate ins Rutschen. Voller Panik nehme ich den Fuß vom Gaspedal, werde langsamer, und meine Reifen bekommen wieder Grip.
    Nach ein paar Minuten sieht die Welt anders aus. Alles ist strahlend weiß, und überall ragen Hügel und Türme empor wie schlafende Riesen. Orientierungspunkte sind keine mehr zu sehen, und so weiß ich auch nicht, wo genau ich bin.
    Ich blinzele, reibe mir die Augen und schalte das Fernlicht an … doch nichts ändert sich.
    Jetzt bekomme ich Panik. Ich greife nach meinem Handy, das mit GPS ausgestattet ist, um zu sehen, wo ich falsch abgebogen bin. Doch während ich noch auf der Tastatur herumdrücke, prallt der Truck gegen einen schwarzen Eisklumpen und gerät ins Schleudern.
    Da steht jemand auf der Straße.
    Ihr dunkles Haar weht ihr ums Gesicht, und sie duckt sich zum Schutz vor der Kälte. Es gelingt mir, das Gaspedal durchzutreten und nach rechts gegenzulenken. Verzweifelt versuche ich, den Truck herumzudrehen, bevor er die Frau trifft. Aber die Räder reagieren nicht mehr auf dem Eis, und voller Panik hebe ich im selben Moment den Blick, als die Frau mir in die Augen schaut.
    Es ist Zoe.
    »Neiiin!«, schreie ich. Ich reiße den Arm in die Höhe, als könnte ich mich so vor dem unvermeidlichen Aufprall schützen. Dann ertönt ein Übelkeit erregendes Kreischen, der Airbag schlägt mir ins Gesicht, und der Truck überschlägt sich genau an der Stelle, wo Zoe gestanden hat.
    Als ich wieder zu mir komme, bin ich über und über von feinem Glasstaub bedeckt. Ich hänge mit dem Kopf nach unten und kann meine Beine nicht bewegen.
    Gott, hilf mir. Bitte, Gott, hilf mir.
    Es ist vollkommen still abgesehen von dem leisen Rieseln der Schneeflocken, die auf das Sitzpolster fallen. Ich weiß nicht, wie lange ich ohne Bewusstsein war, aber es sieht nicht so aus, als würde es gleich dämmern. Ich könnte erfrieren, während ich hier gefangen bin. Ich könnte zu einem weiteren Schneehaufen werden, zu einem Unfall, von dem niemand etwas bemerkt, bis es zu spät ist.
    O Gott , denke ich. Ich werde sterben.
    Und direkt danach: Niemand wird mich vermissen.
    Diese Wahrheit ist schmerzhafter als das Brennen in meinem linken Bein, das Pochen in meinem Schädel und das Metall, das sich in meine Schulter bohrt. Ich könnte einfach aus dieser Welt verschwinden, und vermutlich wäre sie ohne mich auch besser dran.
    Ich höre das Knirschen von Reifen und sehe Scheinwerferlicht, das die Straße über mir erhellt. »Hey!«, schrei ich so laut ich kann. »Hey! Hier bin ich! Hilfe!«
    Das Licht bewegt sich an mir vorbei. Dann höre ich, wie eine Wagentür zugeworfen wird. Die Stiefel des Polizisten wirbeln den Schnee auf, als er den Hang hinunter zu dem auf dem Dach liegenden Truck läuft. »Ich habe einen Krankenwagen gerufen«, sagt er.
    »Das Mädchen«, krächze ich. »Wo ist sie?«
    »Hatten Sie noch einen Beifahrer?«
    »Nein … nicht hier … Der Truck hat sie erwischt …«
    Der Mann rennt den Hang wieder rauf, und ich sehe, wie er mit seiner Taschenlampe umherleuchtet. Ich will sprechen, doch vor mir dreht sich alles, und als ich den Mund aufmache, muss ich mich übergeben.
    Vielleicht dauert es Stunden, vielleicht auch nur Minuten, doch irgendwann kappt ein Feuerwehrmann den Sicherheitsgurt, der mir das Leben gerettet hat, während ein weiterer den Truck mit einem Stahlschneider auseinandernimmt. Überall um mich herum sind Stimmen zu hören:
    Sein Rückgrat muss gestützt werden …
    Ein komplizierter Bruch …
    … tachykardisch …
    Plötzlich taucht der Polizist wieder vor mir auf. »Wir haben überall gesucht. Der Truck hat niemanden erwischt«, sagt er, »nur einen Baum. Und wären Sie

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