Ein Lied für meine Tochter
einen Wasserkrug umgeworfen hat. »Das ist jetzt vielleicht neu für dich, Reid«, hatte sie gesagt, »aber Gott wählt nicht republikanisch.«
Ich weiß, dass Reid will, dass ich mich ihrer Gemeinde anschließe. Jedes Mal, wenn sie die Laken wechselt, legt Liddy mir Flugblätter aufs Bett, die mir die Erlösung versprechen. Und als einmal die Männer-Bibelgruppe bei Reid war, hat er mich eingeladen, mich im Wohnzimmer zu ihnen zu gesellen. Die trafen sich tatsächlich immer unter einem Motto: ›Bibelkunde für echte Kerle‹.
Ich habe mir irgendeine Entschuldigung ausgedacht und bin einen trinken gegangen.
Doch heute Abend haben Reid und Liddy die schweren Geschütze aufgefahren. Als ich Liddy mit der kleinen, antiken Glocke läuten höre, die auf dem Kaminsims steht und mit der sie zum Abendessen läutet, komme ich aus meiner Höhle, dem Gästezimmer, und gehe ins Erdgeschoss, wo Clive Lincoln neben Reid auf der Couch sitzt.
»Max«, sagt Reid, »du kennst doch Pastor Clive, oder?«
Wer kennt ihn nicht?
Ständig steht er in der Zeitung, weil er ununterbrochen Demonstrationen gegen die Homosexuellenehe vor dem Regierungsgebäude veranstaltet. Und als die hiesige Highschool einem schwulen Schüler erlaubte, seinen Freund mit auf den Abschlussball zu bringen, ist Clive mit hundert Gemeindemitgliedern aufgetaucht und hat auf den Stufen der Schule lautstark dafür gebetet, dass der verirrte Schüler wieder zu einer christlichen Lebensweise zurückfinden möge. Dann hat er es diesen Herbst mit der provokativen Forderung, Pornofilme in Kindertagesstätten zu verteilen, sogar in die Fox News geschafft, denn, so seine Argumentation, das sei auch nichts anderes als der Plan des Präsidenten, Sexualkundeunterricht im Kindergarten einzuführen.
Clive ist groß, hat glattes weißes Haar, und er trägt ziemlich teure Anzüge. Ich muss zugeben, er wirkt sogar übergroß. Ist er im Raum, kann man nicht anders, als ihn anzusehen.
»Ah!«, ruft er. »Das ist also der Bruder, von dem ich schon so viel gehört habe.«
Ich habe nichts gegen die Kirche. Als Kind bin ich sonntags mit meiner Mutter zur Kirche gegangen, schließlich war sie die Vorsitzende der Frauengruppe. Nach ihrem Tod habe ich jedoch nicht mehr regelmäßig am Gottesdienst teilgenommen, und als ich Zoe geheiratet habe, bin ich überhaupt nicht mehr gegangen. Zoe war kein, wie sie es nannte, ›Jesusmensch‹. Sie hat immer gesagt, die Religion predige Gottes vorbehaltlose Liebe, trotzdem sei diese Liebe stets an Bedingungen geknüpft: So müsse man glauben, was einem gesagt wird, um alles zu bekommen, was man will. Sie mochte es nicht, wenn fromme Menschen auf sie herabblickten, weil sie Atheistin war, doch um ehrlich zu sein, machte sie es mit den Christen nicht anders.
Als Clive mir die Hand schüttelt, springt ein Funke zwischen uns über. »Ich wusste ja gar nicht, dass wir heute einen Gast zum Abendessen haben«, sage ich und schaue zu Reid.
»Der Pastor ist kein Gast«, erwidert Reid. »Er gehört zur Familie.«
»Ein Bruder in Christo«, sagt Clive und lächelt.
Nervös trete ich von einem Fuß auf den anderen. »Nun denn … Ich werde mal sehen, ob Liddy in der Küche Hilfe braucht.«
»Das kann ich erledigen«, unterbricht Reid mich. »Warum bleibst du nicht hier bei Pastor Clive?«
In diesem Augenblick wird mir klar, dass meine Sauferei – von der ich bis jetzt geglaubt hatte, sie so clever verborgen zu haben – keineswegs ein Geheimnis ist. Dieses Abendessen ist keine freundliche Zusammenkunft mit einem Kirchenmann, sondern geplant. Es ist Reid, der clever ist, nicht ich.
Verlegen setze ich mich auf den Platz, auf dem gerade noch Reid gesessen hat. »Ich weiß nicht, was mein Bruder Ihnen erzählt hat …«, beginne ich.
»Nur, dass er für Sie gebetet hat«, sagt Pastor Clive. »Und er hat mich gebeten, auch für Sie zu beten, damit Sie wieder Ihren Weg finden mögen.«
»Ich denke, mein Orientierungsvermögen ist recht gut«, murmele ich.
Clive beugt sich vor. »Max …«, sagt er. »Ich darf Sie … dich doch Max nennen, oder?« Ich nicke. »Hast du eine persönliche Beziehung zu Jesus Christus?«
»Wir sind … eher Bekannte.«
Clive lächelt nicht. »Weißt du, Max, ich habe nie gedacht, dass ich einmal Pastor werden würde.«
»Nicht?«, erwidere ich höflich.
»Ich stamme aus einer Familie, die jeden Cent zweimal umdrehen musste, und ich hatte fünf jüngere Brüder und Schwestern. Mein Dad ist arbeitslos geworden, als
Weitere Kostenlose Bücher