Ein Lied für meine Tochter
nicht auf dieser Seite der Straße gelandet, wären Sie eine Klippe runtergerauscht. Sie haben verdammtes Glück gehabt.«
Die Welle der Erleichterung, die mich überkommt, drückt sich in Schluchzen aus. Ich weine so heftig, dass ich nicht mehr atmen kann, aber ich kann auch nicht aufhören. War es nur eine Halluzination, dass ich Zoe gesehen habe? Habe ich mir das nur eingebildet, weil ich betrunken war? Oder war ich betrunken, weil ich Zoe immer wieder sehe?
Der Schnee weht mir ins Gesicht wie tausend winzige Nadeln, als ich vom Wrack meines Trucks zum Krankenwagen getragen werde. Meine Nase läuft, und ich habe Blut in den Augen.
Plötzlich will ich dieser Mensch nicht mehr sein. Ich will nicht mehr so tun, als würde ich die Welt an der Nase herumführen, obwohl das gar nicht stimmt. Ich will, dass irgendjemand einen Plan für mich hat, denn ich selbst mache offenbar in dieser Hinsicht keinen allzu guten Job.
Der Krankenwagen startet, und ein Sanitäter schließt mich ans EKG an, während ein anderer mir eine Infusion legt. Jedes Mal, wenn der Wagen bremst, fühlt mein Bein sich an, als hätte es Feuer gefangen.
»Mein Bein …«
»Es ist vermutlich gebrochen, Mr. Baxter«, sagt die Notärztin. Ich frage mich, woher sie meinen Namen kennt, dann wird mir klar, dass sie ihn vermutlich auf meinem Führerschein gelesen hat. »Wir bringen Sie jetzt ins Krankenhaus. Wollen Sie, dass ich jemanden anrufe?«
Nicht Zoe, nicht mehr. Reid wird es erfahren müssen, aber im Augenblick will ich mir seinen Blick noch nicht einmal vorstellen müssen, wenn er erfährt, dass ich betrunken gefahren bin. Und wahrscheinlich werde ich auch einen Anwalt brauchen.
»Meinen Pastor«, sage ich. »Clive Lincoln.«
Ich bin nervös, doch Reid und Liddy stehen neben mir und lächeln so breit, dass man glauben könnte, ich hätte ein Mittel gegen Krebs gefunden oder den Weltfrieden herbeigeführt, dabei habe ich mich doch eben nur in der Eternal Glory Church zu Jesus bekannt.
Wenn die Antworten auf mein Gesicht tätowiert gewesen wären, hätten sie auch nicht offensichtlicher sein können. Der Unfall war der absolute Tiefpunkt meines Lebens, und Jesus war mir in Zoes Gestalt erschienen. Hätte ich sie dort nicht gesehen, dann wäre ich die Klippe hinuntergerast und jetzt tot. Doch so bin ich in Jesu offenen Armen gelandet.
Als Clive mich im Krankenhaus besuchte, war ich von den Schmerzmitteln benommen, mein linkes Bein war eingegipst und Kopf und Schulter genäht. Seit sie mich in den Krankenwagen verfrachtet hatten, hatte ich nicht mehr aufgehört zu weinen. Der Pastor setzte sich auf meine Bettkante und griff nach meiner Hand. »Lass den Teufel raus, mein Sohn«, sagte Clive. »Mach Platz für Christus.«
Ich glaube, was danach geschah, kann ich nicht erklären. Es war so, als hätte irgendjemand einen Schalter in meinem Herzen umgelegt, und plötzlich war aller Schmerz verschwunden. Ich hatte das Gefühl zu schweben, und vermutlich hätte ich das auch getan, hätte die schwere Baumwolldecke mich nicht nach unten gedrückt. Ich schwöre, als ich an meinem Körper herunterblickte, auf meine Finger, da konnte ich ein Licht zwischen ihnen scheinen sehen.
Für alle, die Jesus noch nicht in ihr Herz geschlossen haben, so fühlt sich das an: Es ist, als würde man sich weigern, eine Brille zu tragen, obwohl das Augenlicht schon längst nachgelassen hat. Schließlich kann man dann die Hand vor Augen nicht mehr sehen. Ständig stößt man gegen etwas oder landet in Sackgassen, und irgendwann geht man dann doch einmal zum Augenarzt. Dessen Praxis verlässt man schließlich mit einer Brille auf der Nase, und plötzlich sieht die Welt wieder schärfer, heller und bunter aus. Frisch. Und man weiß gar nicht, warum man so lange damit gewartet hat.
Wenn Jesus bei einem ist, dann macht einem nichts mehr Angst. Nicht der Gedanke, nie wieder etwas trinken zu dürfen, nicht der Augenblick, da man sich vor Gericht wegen Trunkenheit am Steuer verantworten muss. Und auch jetzt habe ich keine Angst, da ich im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes getauft werden soll.
Nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus habe ich regelmäßig die Eternal Glory Church besucht. Ich habe mich mit Pastor Clive getroffen, der einen Kettenbrief in seiner Gemeinde herumschickte, damit all die Leute, die ich gar nicht kannte, für mich beteten. Es ist ein Gefühl, wie ich es noch nie empfunden habe. Diese Fremden beurteilten mich nicht nach meinen
Weitere Kostenlose Bücher