Ein Macho auf Abwegen
Hause und schönen Gruß an Ihren Herbert!“
Christina ging hinauf in das Schlafzimmer und ließ sich auf
das Bett fallen. Sie war jedoch viel zu aufgewühlt, um einzuschlafen. Ihr ging
die ganze Situation noch einmal durch den Kopf. „Was bin ich nur für eine blöde
Kuh!“, lärmte sie durch die Dunkelheit. Wenn sie gründlich darüber nachdachte,
musste sie zugeben, dass sie täglich, und das nicht nur einmal, zu Marc gesagt
hatte: „Du bist nicht wirklich krank! Wenn du willst, kannst du bald wieder laufen!
Du brauchst eine Therapie! Denk’ an das Kind! Wir wollen doch schwanger werden!
Ich brauche dich!“
Und er hatte ihr nie eine Antwort gegeben. Er hatte sie nur
beharrlich schweigend und unermesslich traurig angeschaut. Und jetzt lag er
dort, mutterseelen alleine im Krankenhaus und hatte nichts Besseres zu tun, als
darüber nachzudenken, dass er wohl einen Dachschaden haben musste. Dass er ein
unbrauchbarer Krüppel sei. Er hatte heute noch zu ihr gesagt: „Christina ich
bin so gut wie tot!“ Genauso empfand er. Er hatte keine Hoffnung mehr darauf,
eine lebenswerte Existenz führen zu können. Er fühlte sich wertlos. Nutzlos!
Logisch wollte er gesund werden, aber unter diesem Druck und in dieser
Umgebung konnte er es unmöglich. Ständig waren irgendwelche Krankenschwestern
für ihn zuständig. Andauernd waren fremde Menschen um ihn herum.
Wenn er zu Hause wäre, würde er nicht mehr so sehr an seine
Blockade erinnert. Er könnte hier ganz viel für sich machen und sich von seinen
düsteren Gedanken ablenken. Durch den Nebeneingang über den Garagenhof käme er
problemlos mit seinem Rollstuhl ins Studio und könnte dort arbeiten, alleine
oder mit anderen Künstlern und den Technikern. Er könnte noch dazu seine
Gefühle in seinen Liedern verarbeiten. Und gemeinsam könnten sie hier im Haus
den Alltag wieder einkehren lassen. Mit gemütlichen Fernsehabenden und
gemeinsamem Kochen, und sie könnten Gäste einladen. Eben ganz normal wie
früher. So würde er lernen, dass sein Dasein auch jetzt noch einen Sinn hatte.
Und unter Umständen würde sich sein Zustand automatisch verbessern.
„Schon wieder, Christina! Jetzt hast du es schon wieder
gedacht!“, ermahnte sie sich lautstark. „Wir müssen die Behinderung annehmen!
Wir müssen unsere neue Lebenssituation akzeptieren! Nicht nur Marc, ich ganz
genauso!“
Ab sofort gehörte Marcs Handicap dazu. „Es ist so wie es
ist, y basta!“, rief sie beinahe euphorisch.
Christina wachte schon sehr zeitig auf und schaute auf die
Uhr. Es war noch viel zu früh, um ins Krankenhaus zu fahren. Sie musste ja sowieso
als Erstes mit Professor Spengler reden. Hoffentlich war der auch mit ihrem
Plan einverstanden! „Wenn nicht, ist mir das auch egal“, entschied sie.
Schließlich wussten sie und Mia ja wohl am allerbesten, was für Marc gut wäre.
Sie duschte, schaute nach, ob die Zeitung schon so früh im Kasten war und
frühstückte in aller Ruhe. Nachdem sie eine Scheibe Toast gegessen hatte,
spürte sie, wie sich ihr Magen wieder meldete. Entgegen aller Zuversicht hatte
sie entsetzliche Angst. Sie hatte keine Ahnung, wie Marc auf ihren Entschluss
reagierten würde. Würde er einfach so mit ihr mitkommen? Würde er es ihr denn
überhaupt erlauben, bei ihm wohnen zu bleiben? Hoffentlich hatte er sich ein
bisschen beruhigt! Was, wenn er mich wieder rausschmeißt? – Dann müsste Mia in
herholen.
Sie würde sich nachher auf gar keine Diskussion mit ihm
einlassen, beschloss sie. Mia hatte gesagt: „Sie müssen sein Leben von nun an
in die Hand nehmen!“ Und genau das wollte sie jetzt auch tun. Keine Debatte und
kein einziges Widerwort von Marc würde sie zulassen.
Wie sollte das mit dem Schlafzimmer geregelt werden? Wenn
sie ihm zu nahe käme, hätte er wahrscheinlich wieder Probleme mit seiner
Männlichkeit.
Marc musste auf jeden Fall im Erdgeschoss untergebracht
werden, damit er sich frei im Haus bewegen könnte und so wenig Hilfe wie
möglich in Anspruch nehmen musste. Er musste lernen wieder selbständig zu
werden. Nur auf diese Weise könnte sich die ganze Situation entspannen.
Also würde sie ihm jetzt das größte Gästezimmer herrichten,
und sie selber würde oben im alten Schlafzimmer bleiben. Und zwar solange, bis
Marc sie darum bitten würde, wieder gemeinsam mit ihm in einem Bett zu
nächtigen. Ja, sie würde ihn nicht mehr anrühren, jedenfalls nicht, um
Zärtlichkeiten auszutauschen.
Sie bezog das Bett im Gästezimmer und
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