Ein Macho auf Abwegen
Christina hatte ihren alten
Geschäftsführerton, den sie speziell im Umgang mit diesem Rezeptionschef
bestens trainiert hatte, aus dem hintersten Winkel ihrer Erinnerungen
hervorgekramt. Ramón hatte zu jener Zeit mit der Tatsache eine weibliche, noch
dazu junge, hübsche Ex-Kellnerin und obendrein auch noch ausländische Chefin zu
haben, einfach nicht fertig werden können.
Es hatte Christina ungeheuer viel Rückgrat und Kraft
gekostet, sich bei ihm als kompetente Vorgesetzte durchzusetzen. Es hatte
endlos gedauert, bis Ramón ihre Instruktionen ohne Murren und Protest
ausgeführt hatte.
„Aber Señora, ich weiß nicht ...“, stammelte, der
inzwischen annähernd kahlköpfige Rezeptionschef. „Ob Manuel da ist? – Bueno,
das lässt sich sicherlich ganz flott feststellen.“
Christina bewahrte tapfer die Ruhe und funkelte Ramón
durchdringend und eisern an. Diese Methode hatte immer Wirkung bei ihm gezeigt.
Ihr Augenspiel war stets ihr allerletztes Mittel gewesen. Der Rezeptionschef
war bei diesem Augenblitzen jedes Mal unwillkürlich vor ihr zusammengezuckt.
Wahrscheinlich hatte er damals Angst, sie könne ihn verfluchen. Christina, die
Hexe!
Ganz wie erwartet erbebten seine Schultern einmal kräftig,
bis Ramón sie dann erschlaffen und ergeben nach vorne hängen ließ. Na, geht
doch!, griente Christina in sich hinein.
„Selbstverständlich, Señora.“ Er setzte sich in Bewegung und
verschwand im Verwaltungsbereich.
Es dauerte leidlich lange, bis er endlich wieder auftauchte.
Christina brachte dieses Auf-die-Folter-spannen schon wieder einigermaßen aus
dem Konzept, und ihre Selbstsicherheit schien bereits dahinzubröseln. Sie stieg
nervös von einem Bein auf das andere und tippte mit ihren Fingernägeln
unaufhörlich auf dem Tresen herum. „Hör’ auf mit Zappeln!“, zischte Pilar ihr
ins Ohr. Die Anwältin hatte es im Wagen nicht mehr ausgehalten und wollte
wissen, ob ihre Freundin schon einen Schritt weitergekommen war. „Da kommt er
doch schon wieder, Christina!“
„Schon ist gut! Da kriege ich ja schneller 'ne Audienz beim
Papst!“ Christina richtete das Wort längst wieder an Ramón. „Und? was jetzt?“,
fragte sie gereizt. „Kommen Sie bitte mit, Señora!“ Er deutete ihr mit der Hand
die Richtung zu dem Durchgang, der in den Wirkungsbereich der Hotelleitung
führte. „Ich kenne den Weg, gracias“, antwortete sie und folgte dem
Empfangschef dennoch flotten Schrittes.
Vor Ángels altem Büro blieb er stehen. „Bitte sehr, Señora
de Moreno.“
„Vielen Dank, Ramón.“ Christina holte tief Luft, um sich zu
sammeln und betrat, die ihr so überaus vertraute Räumlichkeit.
Dort wurde sie wider Erwarten nicht von ihrem Sohn
empfangen, sondern von Maite Moreno, der jüngeren und einzigen Schwester ihres
Mannes. Ihre Schwägerin stand hinter Ángels großem, ausladendem Schreibtisch
und schien nicht gerade erfreut über Christinas Überraschungsbesuch zu sein.
Die beiden Frauen hatten noch nie ein aufrichtiges
Verhältnis zueinander gehabt. Maite war von Anfang an eifersüchtig auf Christina
gewesen, denn die junge Deutsche war viel schlanker als sie und hatte nicht
die, für Spanierinnen typischen, ausladenden Hüften und den ausgeprägten
Hintern. Der Frau ihres Bruders fehlten nur ein paar Zentimeter, und sie hätte
glatt Model in Paris sein können. Christina war hübscher als Maite, und sie
bestach alle Welt durch ihre berufliche Kompetenz. Selbst die alten Morenos
waren von der Frau ihres einzigen Sohnes so überzeugt gewesen, dass sie ihr
verhältnismäßig schnell einen Haufen Verantwortung im Hotel übertragen hatten.
Für Maite war blitzartig kein Platz mehr im Geschäft. Jawohl! Christina hatte
sie ausgebootet, und Maite war von einem Tag auf den anderen draußen gewesen.
Ihre Eltern hatten beschlossen, dass ihre Tochter sich besser, gemeinsam mit
ihrem Mann, David, um dessen aufstrebendes Immobilienbüro kümmern sollte.
Das Schlimmste für Maite waren allerdings zwei familiäre
Angelegenheiten:
Erstens: Christina hatte ihren geliebten großen Bruder, den
sie regelrecht vergötterte. Ángel war ihr Held! Zweitens: Ángel und Christina
hatten Kinder! Zwei gesunde, hübsche und intelligente Kinder. David und Maite
hatten es mit dem Nachwuchs bekommen ewig versucht, doch das Paar war kinderlos
geblieben.
Bis zu einem gewissen Grade konnte Christina ihre Schwägerin
verstehen. Sie wäre vermutlich auch nicht gut auf eine derartige Rivalin zu
sprechen gewesen. Doch am
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