Ein Mann von Ehre
gewiss imstande gewesen, ihre Täterschaft zu vertuschen. Die Sache hätte nicht vor Gericht kommen müssen. Jemand wie Beatrices Onkel hatte den Tod verdient. Tante Patricia hat uns einen Brief hinterlassen, in dem sie ein Geständnis ablegt.“
Rosalyn nickte. „Ja, ich kann mir vorstellen, dass sie Gewissensbisse hatte. Sie hatte herausgefunden, dass ihr Bruder Bernard Helens Vergewaltiger war, nicht wahr? Ihr anderer Bruder Roderick hat Helen in die Kutsche gedrängt, doch es war Bernard, von dem Helen derart gedemütigt wurde, dass sie sich das Leben nahm. Damals hat Damian nicht die ganze Geschichte gekannt. Er verdächtigte deinen Onkel Roderick, Beatrice, und hat ihn beim Duell getötet. Nicht Roderick, sondern sein Bruder hätte an diesem Tag sterben müssen. Die Tatsache, dass der Falsche erschossen wurde, hat Damian jahrelang belastet.“
„Mir scheint, du kennst die ganze Geschichte“, murmelte Frederick und war etwas verstimmt, weil er feststellen musste, dass Rosalyn sich alles gut zusammengereimt hatte.
„Schon damals hätte ich die Zusammenhänge erkennen müssen. Ich habe mich tatsächlich gewundert. Ich weiß, was geschehen sein muss. Mrs. Jenkins hat gehört, wie ich ihren Bruder Bernard bezichtigte, das Leben seines Bruders auf dem Gewissen zu haben. Als er mich im Park belästigte, stand sie auf dem oberen Treppenabsatz beim Fenster und hat alles gehört.“
„Ja, genau so war es“, bestätigte Frederick. „Aber das ist noch nicht alles. Bernard hat seiner Schwester Gift in ihre Medizin getan, damit sie krank wurde. Er hoffte, einen Teil ihres Geldes zu erben, und wollte daher ihren Tod beschleunigen, um schneller an ihr Vermögen zu kommen.“
„Er hat sie vergiftet?“ Schockiert starrte Rosalyn den Bruder an. „Und sie hat das gewusst! Natürlich wusste sie, nachdem der Arzt ihre Medikamente mitgenommen hatte, dass Bernard sich an ihnen zu schaffen gemacht haben musste. Als sie dann die Wahrheit über ihren jüngeren Bruder hörte …“
„Er war der einzige Mensch, den sie je gern hatte“, warf Beatrice ein, setzte sich auf und wischte sich mit dem Taschentuch die Tränen aus den Augen. „Sie hat eine Pistole deines Vaters an sich genommen, Rosalyn, und ist hinter Onkel Bernard hergegangen. Sie hat ihn absichtlich erschossen. Das war kein Unfall. Sie wollte, dass Onkel Bernard stirbt. In ihrem Brief hat sie das ganz deutlich zum Ausdruck gebracht.“
„Ach, die Ärmste!“, rief Rosalyn aus. An jenem Tag war ihr, nachdem Mr. Harrington sie belästigt und sie an die Zimmertür seiner Schwester geklopft hatte, der Verdacht gekommen, etwas sei nicht in Ordnung. Ihr war der Gedanke gekommen, Mrs. Jenkins könne den Zwischenfall beobachtet haben. Wie hätte sie jedoch ahnen können, was dann später passieren würde? „Deine Tante muss sehr bedrückt gewesen sein, um so etwas Furchtbares tun zu können.“
„In dem Brief hat sie geschrieben, sie habe jetzt, da ich verheiratet bin, nichts mehr, wofür zu leben sich lohne“, erwiderte Beatrice. „Sie hat mir bis auf eine Diamantbrosche, die sie dir vermachte, alles hinterlassen. Und sie hat auch dir einen Brief geschrieben, in dem sie ihr Verbrechen gesteht. Damit kannst du, wie sie schrieb, nach Gutdünken verfahren. Der Grund, weshalb Freddie und ich heute hergekommen sind, ist unsere Absicht, dir die Brosche und diesen Brief auszuhändigen.“
„Und ich will mich bei dir entschuldigen“, warf Frederick ein. „Verdammt, Rosalyn! Warum hast du mir nicht gesagt, dass du schon die ganze Zeit gewusst hast, wer Beatrices Onkel getötet hat?“
„Ich war nicht sicher“, antwortete Rosalyn. „Außerdem war das nicht so von Bedeutung. Jedenfalls dachte ich das damals. Niemand konnte etwas auf die eine oder andere Art beweisen. Damian und ich wollten England für immer verlassen, und mir widerstrebte es, allen Beteiligten noch mehr Ärger zu machen. Außerdem …“
„Rosalyn liebte mich so sehr, dass es ihr gleich war, was die Leute von ihr dachten“, unterbrach Damian von der Tür her. „Nur meiner Dummheit ist es zuzuschreiben, dass ich annahm, ein kleiner Skandal könne für sie von Bedeutung sein. Ich weiß jetzt, dass ich mich geirrt habe. Sie ist aus besserem Holz geschnitzt als wir alle, Frederick.“
Frederick war rot angelaufen. Er räusperte sich verlegen und richtete, als er sich entschuldigte, den Blick auf eine Stelle hinter dem Kopf des Schwagers.
„Ich war ein verdammter Narr“, räumte er ein.
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