Ein Mann von Ehre
schwarzes Haar und war so tief von der Sonne gebräunt, dass sie unwillkürlich vermutete, er müsse sich längere Zeit in sehr heißem Klima aufgehalten haben.
Irritiert fragte sie sich, wer er sein mochte und was er in ihrem Garten suchte. Unvermittelt fiel ihr auf, dass sie ihn anstarrte. „Verzeihen Sie“, erwiderte sie verlegen. „Ich war nicht darauf gefasst, hier jemandem zu begegnen, und bin daher erschrocken. Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?“
„Ich habe Sie beobachtet“, antwortete er schmunzelnd. „Sie kommen mir wie die aus dem Olymp zu uns Sterblichen herabgestiegene Göttin der Jagd vor.“
Rosalyn fand den Vergleich keineswegs an den Haaren herbeigezogen. Alle Abbildungen Dianas, die sie bisher gesehen hatte, stellten die Göttin als üppig gewachsene Frau dar, die den Anschein großen Selbstbewusstseins erweckte, und das alles traf, wie sie glaubte, auch auf sie zu.
„Es gut mir leid, Sir, Sie enttäuschen zu müssen“, sagte sie trocken. „Leider bin ich keine Göttin, sondern nur die einfache Miss Eastleigh, die mit ihrer Hündin einen Spaziergang unternimmt.“
„Miss Rosalyn Eastleigh?“ Sie nickte, und Damian war verdutzt. Rasch richtete er sich auf und verneigte sich leicht vor ihr. „Bitte, verzeihen Sie mir mein schlechtes Benehmen, Miss Eastleigh“, entschuldigte er sich. „Erlauben Sie, dass ich mich Ihnen vorstelle. Ich bin Damian Wrexham, Ihr neuer Nachbar, zumindest für die nächsten Monate, die ich hier zu verbringen gedenke.“
„Oh, ich entsinne mich, dass Lady Orford erwähnt hat, Orford Hall sei vermietet worden, angeblich an einen Inder. Aber offensichtlich bin ich in diesem Punkt einem Irrtum erlegen.“
„Nein“, widersprach Damian belustigt. „Durch seinen Vater ist mein Schüler indischer Abstammung. Seine Mutter war Engländerin, die mit ihrem Vater, einem Missionar, nach Indien gereist ist und dort Jareds Vater kennengelernt hat. Sie verliebte sich ihn und hat ihn ungeachtet des unvermeidlichen Skandals und aller Schwierigkeiten, denen sie ausgesetzt gewesen war, geheiratet.“
„Wie aufregend!“, meinte Rosalyn. „Wie mutig von ihr, dem Ruf ihres Herzens gefolgt zu sein. Ich sehne mich oft nach Abenteuern. Ich glaube, in Indien ist es sehr schön.“
„Ja. Es ist ein wildes, gefährliches, aber zweifellos sehr reizvolles Land.“
Als man beim Haus angelangt war, fand Rosalyn, es sei nur höflich, Mr. Wrexham zu sich zu bitten.
„Wenn Sie möchten, Sir, lade ich Sie gern zum Essen ein. Mittags nehme ich allerdings nur einen kalten Imbiss zu mir.“
„Ich bedanke mich für die Einladung, Miss Eastleigh, kann sie heute jedoch nicht annehmen.“ Mr. Wrexham sah Rosalyn auf eine Weise an, die ihr rätselhaft erschien. „Ich komme gern ein anderes Mal. An sich bin ich hergekommen, um Sie zu bitten, morgen Abend mit uns zu speisen, denn es wäre mir sehr lieb, eine Dame im Haus zu haben, die die Honneurs macht. Allerdings habe ich nicht damit gerechnet, dass Sie noch so jung sind.“
Der Ausdruck in Mr. Wrexhams Augen war so verschmitzt, dass die innere Distanz, die Rosalyn bisher empfunden hatte, im Nu verflog. Sie zog die Augenbrauen hoch, schaute Mr. Wrexham mit gespielter Strenge an und erwiderte: „Und warum haben Sie das Gegenteil erwartet?“
„Oh, sehen Sie mich nicht so pikiert an“, antwortete er amüsiert. „Sie haben keine Ahnung, Miss Eastleigh, was man mir über Sie berichtet hat.“
„Ich kann es mir denken“, erwiderte sie und schmunzelte unwillkürlich. „Man hat Ihnen gesagt, ich sei ein spätes Mädchen. Nein, leugnen Sie das nicht, Sir. So unwahr ist das nicht. Schließlich bin ich schon siebenundzwanzig Jahre alt. Ein Mann, der annähme, ich sei noch leicht zu formen, wäre sehr mutig. Man könnte auch sagen, er sei sehr dumm.“
„Nun, das soll mir eine Warnung sein“, äußerte Damian belustigt. „Dennoch bitte ich Sie, Verständnis für mich aufzubringen. Könnten Sie sich also dazu durchringen, bei Tisch die einzige Dame unter Männern zu sein?“
Mr. Wrexham flirtete zwar ungeniert, doch Rosalyn nahm keinen Anstoß daran. „Nein, es würde mir nichts ausmachen, Ihnen diesen Gefallen zu erweisen, wenn ich dadurch nicht meine seit dem Tod meines Vaters vor drei Jahren bei mir lebende Cousine kränken würde. Sie ist nicht mehr jung und hat es als ihre Pflicht empfunden, mir zur Seite zu stehen. Natürlich konnte ich ihr Ansinnen nicht zurückweisen, da es unziemlich gewesen wäre, allein zu
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