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Ein Mann wie ein Erdbeben

Ein Mann wie ein Erdbeben

Titel: Ein Mann wie ein Erdbeben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Die ganze Familie war krank, in den Barreis-Werken wütete die Grippewelle und legte den Betrieb fast still. Onkel Haferkamp lag mit Fieber im Bett, Bobs Mutter Mathilde, Hellmut Hansen, das ganze Hauspersonal. Nur Tante Ellen war einsatzbereit, sie hatte sich rechtzeitig impfen lassen. Sie kam aus Bremen herüber und übernahm den Haushalt. Mit 37 Jahren sah sie blendend aus, eine erblühte, vollbusige, schlankhüftige, blankäugige Schönheit in den neuesten Modellkleidern, ein fröhliches, sonniges Gemüt, dem nur eine Trübung widerfahren war: ein Ehemann, der sich mehr um seine Erfindungen kümmerte als um das glatthäutige Geschöpf, das in durchsichtigen Nachtgewändern vergeblich eheliches Interesse zu erwecken suchte.
    Tante Ellen pflegte rührend und unermüdlich die Kranken der Barreis-Villa. Am vierten Abend – Bob hatte eine Schwitzkur hinter sich und wechselte den Schlafanzug – betrat Tante Ellen das Zimmer ihres Neffen und glaubte ihren Augen nicht zu trauen. Bob stand nackt vor ihr, ein erwachsener Junge, groß, schlank, mit Muskeln, wo sie hingehörten, breiten Schultern und schmalen Hüften und um den Mund ein Lächeln, das Tante Ellen seit langem bei ihrem Mann vermißte. »Aber Bobby …«, sagte Tante Ellen gepreßt, und wieder war dieses Glucksen in der Stimme, das Bob wie ein Startschuß vorkam. »Bobby … leg dich hin, du erkältest dich ja … Mein lieber Junge …«
    Tante Ellen blieb vier Wochen bei ihrer Schwester Mathilde. Während andere bei der Krankenpflege ermüden, wurde Tante Ellen immer jünger. Nach vier Wochen riß sie sich von ihrer Pflege los, als sei es ein Abschied in einen anderen Kontinent. In ihr Tagebuch schrieb sie: ›Ich bin einem Naturphänomen begegnet.‹
    Bob wurde achtzehn Jahre, durfte den Führerschein machen und wünschte sich zum Geburtstag nachträglich einen Sportwagen, einen Spitfire. Mit diesem englischen Flitzer raste er zur Schule und bespritzte die Studienräte an Regentagen mit Dreck. An Sonnentagen parkte er die kleine Autorakete in einsamen Waldschneisen, wo er auf den Liegesitzen oder neben dem Wagen auf einer Kamelhaardecke, 100 % reines Kaschmir, Importqualität, seine ›Wochenmädchen‹, wie er sie nannte, liebte. Denn länger als eine Woche reichte sein Interesse nie. Am Ende des Schuljahres, das mit dem Abitur ausklang, hatte Bob elf Primanerinnen des Lyzeums von Vredenhausen, neun Handelsschülerinnen, vier Fabrikmädchen der Barreis-Werke, neun verheirateten Frauen und einer in Ausbildung befindlichen Sozialfürsorgerin gezeigt, wie gut gefedert sein Wagen war und was bei Bob ›Gas geben‹ und ›sich in die Kurve legen‹ hieß.
    Das Abitur machte er mittelmäßig. Als einzigen Sohn und Erben der Barreis-Millionen ließ das Lehrerkollegium ihn durchrutschen und drückte beide Augen zu. Irgendwie war jede Familie in Vredenhausen mit den Barreis-Werken verquickt … mit nunmehr fünftausend Arbeitern und Angestellten spielten die Barreis-Werke die Rolle der Mutterbrust für Vredenhausen. Nur in einem Fach brachte Bob eine glatte Eins, ein leuchtendes ›Sehr gut‹ im Zeugnis nach Hause: in Religion. Selbst Onkel Haferkamp rätselte herum, wie das möglich sei. »Er ist eben ein guter Junge!« sagte Mathilde Barreis. Mütterlicher Stolz treibt Blüten, die in keinem Biologiebuch stehen. »Theo, unterlaß bitte jegliche sarkastische Bemerkung. Bobs tiefer Glaube ist etwas Edles, Schönes, Reines.«
    Ab seinem zwanzigsten Lebensjahr beschäftigte sich Bob Barreis ausschließlich mit Autos und Mädchen. Während sein Jugendfreund und Lebensretter Hellmut Hansen auf Kosten Onkel Haferkamps die Ingenieurschule besuchte, verschliß Bob einen Wagen nach dem anderen und war gefürchtet bei den Vätern heranwachsender Töchter. Er fuhr Rallyes, brachte Silberpokale und Lorbeerkränze mit bunten Schleifen nach Hause und verunglückte viermal bei diesen Autorennen. »Wenn er sich endlich mal den Hals bricht, lasse ich auf meine Kosten die Glocken läuten!« sagte nach einem wieder glimpflich abgelaufenen Unfall der Werkmeister Karl Hubalitz. Seine Tochter Eva gehörte zu den Mädchen, die seit ihrer Bekanntschaft mit Bob ihre Kindheit abgestreift hatten wie eine zu eng gewordene Haut. »Aber soviel Glück haben wir nicht!«
    Still und unauffällig zog in dieser folgerichtigen Entwicklung des Bob Barreis ein Mensch mit, der ihm vom fünften Lebensjahr an nicht von der Seite wich: das Kindermädchen Renate Peters.
    Geduldig, denn sie war arm,

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