Ein Mann wie ein Erdbeben
hart, aber weniger schmerzvoll, als er sich gedacht hatte. Wie ein Ball rollte er über die vereiste Straße, die Steine hämmerten in seinen Körper wie ein Fleischklopfer. Dann schlug er gegen die Wand, er hatte das Gefühl, als breche er mitten durch und das Rückgrat löse sich aus ihm. Er begann zu husten, krümmte sich und dachte mit merkwürdig wachen Sinnen: Ich kotze mir das Skelett aus dem Leib. O verdammt, der ganze Brustkorb will mir durch die Kehle. –
Nur Bruchteile von Sekunden dauerte das. Hinter sich hörte Bob ein kreischendes Krachen, Blech jammerte auf, die sechs Finger der Halogenscheinwerfer erloschen. Dafür brach ein Zischen und Brausen in die plötzlich stille Nacht ein, ein schauerliches, hohles Prasseln, aus dem sich, wie ein langsam aufsteigender Springbrunnenstrahl, eine Flamme entwickelte.
Bob streckte sich, wälzte sich auf den Bauch und starrte auf seinen brennenden Wagen. Ein bizarrer Haufen Blech klebte an der gegenüberliegenden Felswand, und aus ihm züngelten die Feuerarme gegen die Lanzenspitzen der Eiszapfen.
»Lutz …«, stammelte Bob. »Lutz, du Vollidiot.« Er versuchte sich aufzurichten, aber sein Rücken schien zerbrochen zu sein. Er begann zu kriechen, und das gelang. Wie ein Wurm schlängelte er sich über den Weg, mit weiten, entsetzten Augen, richtete sich dann auf den Knien auf, drückte sich hoch und taumelte zu dem brennenden Wrack.
Lutz Adams hing zwischen Sitz und Lenksäule wie ein Stück Eisen in den Backen eines Schraubstocks. Er war bei voller Besinnung, warf den Kopf mit lautem Schnaufen nach hinten und versuchte, sich durch ruckartige Bewegungen aus der Umklammerung zu lösen. Als er Bob Barreis zum Wagen schwanken sah, begann er zu brüllen.
»Hier, Bob! Hier! Ich bin eingeklemmt! Reiß den Sitz zurück. Ich bekomme die Arme nicht hoch. Nur den Sitz weg! Mach schnell … es wird verdammt heiß!«
Bob Barreis blieb stehen, vier Meter von dem Wagen entfernt, und blickte Lutz Adams starr an. Seine Brust hob und senkte sich mit pfeifendem Atem. Er preßte die Hände gegen seine Schenkel und rührte sich nicht. Vom Heck aus griffen die Flammen auf die Polster über. Das brennende Benzin lief durch jede Ritze des aufgespaltenen Blechs.
»Bob!« brüllte Adams und zerrte an seiner tödlichen Umklammerung. »Hilf mir doch! Hol den Feuerlöscher. Er ist neben mir … du kannst doch an ihn ran! Den Feuerlöscher, Bob –«
Barreis rührte sich nicht. Über sein Gesicht lief ein Zucken. Eine fremde, angenehme Wärme durchrieselte ihn, das gleiche, immer wiederkehrende Glücksgefühl, wenn er ein Mädchen unter sich gezwungen hatte und ihr Stöhnen und dumpfes Schreien in ihm die Sinne aufpeitschten, als hiebe man ihm mit Dornenreisern über die nackte Haut. Er brauchte das, um in den Höhepunkt hineinzuflammen wie ein zischendes Feuerwerk. Er biß in die Körper unter sich wie eine wütende Schlange, und wenn das keuchende Schreien der Mißhandelten ihn einhüllte wie eine wärmende Wolke, dachte er an Tante Ellen. Sie hatte ihn gelehrt, daß Schmerz Lust erzeugt. Sie hatte Stücke aus seinem Fleisch gerissen. Kannibalin der Leidenschaft. Megäre der Sinne. Und damals war etwas in ihm erweckt worden, dem er in nüchternem Zustand fremd und schaudernd gegenüberstand, aber dem er sich völlig unterwarf, entblößt von allem Willen, wenn der Rausch ihn in rosa Nebeln wegtrug.
Den Kopf vorgestreckt, die Hände zu Fäusten geballt, stand Bob Barreis vor dem brennenden Wagen und starrte auf Lutz Adams. Ich muß ihm helfen, durchfuhr es ihn. Ich muß ihm … Aber da war die andere, stärkere Kraft, diese Klammer seiner tobenden Sinne, und sie befahl: Bleib stehen! Sieh zu, wie ein Mensch verbrennt. Hast du das schon erlebt? Eine lebende Fackel? Weißt du, wie ein Mensch brennt? Gibt es eine blaue Flamme, wie bei Spiritus, oder eine gelbrote, wie bei trockenem Buchenholz? Qualmt ein Mensch? Es muß riechen wie ein Spanferkel am Spieß. Und wann hört sein Schreien auf? Lähmt ihn vorher das Entsetzen? Oder brüllt er, bis die Flammen aus seinem Mund schlagen wie bei einem Feuerfresser?
»Warum kommst du nicht?« schrie Lutz Adams. Er sah Bob Barreis im flackernden Licht des Feuers stehen, etwas geduckt, wie zum Sprung bereit … aber er sprang nicht, er rührte sich nicht vom Fleck, er schien wie ein bizarres Stück Fels, das der Aufprall des Wagens von der Wand gerissen und auf die Straße geschleudert hatte.
»Den Schaumlöscher, Bob! Hol den Schaumlöscher!
Weitere Kostenlose Bücher