Ein Mann wie ein Erdbeben
Vollwaise und vom Waisenhaus an die Barreis-Familie vermittelt worden, ertrug sie die Jahre neben Bob, versuchte, mit Güte und mit Ermahnungen wenigstens etwas in diesem zum Wildwuchs neigenden Leben zu steuern, und erkannte, wie kläglich sie versagte. Bob schlug sie zum erstenmal, als er neun war. Mit zehn spickte er Renates Bett mit Heftzwecken, mit elf versteckte er sich zehn Stunden lang nach einem gemeinsamen Spaziergang, bis Onkel Haferkamp die Polizei rief und Renate Peters verhören ließ. An Bobs fünfzehntem Geburtstag sagte Mathilde Barreis: »Liebe Renate, Bob ist nun ein großer Junge, der kein Kindermädchen mehr braucht. Ich danke Ihnen für alles, was Sie getan haben. Wenn Sie bei uns bleiben wollen … ich vertraue Ihnen gern die Führung des Haushalts an.«
Renate Peters blieb. Sie wurde jetzt ›Wirtschafterin‹ genannt und erhielt fünfzig Mark mehr als früher – zwar immer noch 450 Mark unter Tarif, aber darüber sprach niemand. Sie durfte eine kleine Wohnung unterm Dach der Villa beziehen: Wohnzimmer, Kochnische, Bad, kleine Diele. Ein Balkon, von dem man einen romantischen Blick auf die vielen Hügel hatte, die über Vredenhausen hinausragten. »Rechnet man die Wohnung dazu, hat sie ihr volles Gehalt!« stellte Onkel Haferkamp fest. »Außerdem gehört sie ja fast zur Familie.«
Ob das eine Auszeichnung war, wird sich noch herausstellen.
Bob Barreis verschonte Renate Peters bei seinen sexuellen Streifzügen. Sie war nicht häßlich. Eine bäuerliche Venus vielleicht, drall und gesund, kulleräugig und rotbäckig, ein Paradiesapfel und garantiert eine Jungfrau, die selbst dem starken Willen des Hans Barreis, Bobs Vater, widerstanden hatte. Für Bob war Renate geschlechtslos … seit er vernünftig denken konnte, war sie um ihn. Sie hatte ihn gebadet und abfrottiert, ihm die Haare gekämmt und ihn ins Bett gebracht, ihm vor dem Einschlafen Märchen erzählt oder aus Karl May vorgelesen. Sie war ein Gegenstand geworden wie Kissen, Stuhl, Tisch, Bild, Fenster, Teppich, Lampe, Bett.
Aber mit sechzehn schlug Bob Renate in wildem Zorn, als sie ihn im Park der Villa mit einem Mädchen überraschte. Das Mädchen weinte und trocknete sich die Tränen mit ihrem zerrissenen Schlüpfer ab. Mit den Fäusten trieb Bob, den Kopf gesenkt wie ein Stier, Renate vor sich her und schrie sie an: »Kümmere dich nicht um mich! Verdammt! Ich bin kein Kind mehr! Hau ab, sag' ich! Immer erziehn alle an mir herum! Immer bin ich noch der gute, liebe Junge! Laßt mich doch in Ruhe, verflucht! Laßt mich leben, wie ich will! Hat noch keiner bemerkt, daß ich nicht nur auf dem Kopf Haare habe?!«
Von diesem Tag an blühte eine Haßliebe zwischen Bob und Renate Peters. Er wußte, daß sie vieles sah, was andere in ihrer Blindheit verpaßten, und er nutzte es aus, sie damit zu quälen. »Heute habe ich zwei Mädchen gebumst!« sagte er etwa. »Hintereinander. Jede durfte bei der anderen zugucken! Renatchen, sie flatterten mit den Gliederchen wie geköpfte Hühner!«
Dreimal verriet Renate ihn bei Mathilde Barreis. Aber es war eine sinnlose Auflehnung. »Dummes Gerede!« sagte Mathilde Barreis. »Das ist die Mißgunst der kleinen Leute! Mein Sohn weiß, was er tut!«
Bob wußte es wirklich.
Mit vierundzwanzig Jahren gehörte er zur kleinen Schicht der internationalen Playboys, tummelte sich auf den Rennplätzen, fuhr Bob in St. Moritz und Wasserski in St. Tropez, tanzte im ›Palace‹ im Schatten Rubirosas und Gunter Sachs' und litt unsäglich darunter, nicht ihr Format zu besitzen. Seine Mädchen waren hübsch, langbeinig, wildmähnig, spitzbusig und dumm – aber immer eine Klasse tiefer als die Mädchen seiner großen Vorbilder. Er machte die Probe aufs Exempel, schob in St. Moritz seine Neuentdeckung, die weizenblonde Silvia Pucker, dreimal Gunter Sachs unter die berühmte Nase … der Star des Jet-Sets beachtete sie gar nicht. Bob Barreis blieb noch eine Nacht mit Silvia zusammen und jagte sie dann aus seinem gemieteten Chalet nachts in den Schnee hinaus. Ihre Kleider warf er aus dem Fenster.
»Ihr hochnäsigen Fatzken!« schrie Bob und hieb mit den Fäusten gegen die Hüttenwand. »Ich werde euch zeigen, mich anzuerkennen! Schlange werdet ihr stehen, um mir die Hand zu drücken! Wartet nur ab, bis ich die ›Rallye Europe‹ gewonnen habe. Mit der ölverschmierten Hand werde ich euch in die Fresse schlagen, und ihr werdet jubeln dabei!« In einer Aufwallung unbändigen Zorns riß er das Fenster auf und
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