Ein Mann wie Mr Darcy
ehrenhaft.Wie sie in Reithosen und weißen Hemden, die sich an ihren Brustkorb schmiegen, über die Felder streifen … lecker …«
Geistesabwesend blättere ich durch den Roman und bleibe prompt bei einer ziemlich erotischen Szene zwischen Elizabeth Bennet und Mr. Darcy. Mein Gott, wie ich diese Stelle liebe. Ich lehne mich ans Bücherregal und lese weiter. »Ich meine, warum kann ich nicht losgehen und mich mit Mr. Darcy verabreden?« Ich seufze sehnsüchtig. Das aufgeschlagene Buch an meine Brust gedrückt, blicke ich ins Leere.
»Oh, ist das der niedliche Kerl, der im Mac-Store arbeitet?«, höre ich Stella von der obersten Sprosse der Leiter herunter fragen.
Ich sehe zu ihr hoch. Bestimmt habe ich mich verhört.
»Wenn ja, könnte ich versuchen, dir seine Nummer zu besorgen …«
»Stella!«, rufe ich ungläubig. Ich wusste ja, dass es mit ihrer literarischen Bildung nicht allzu weit her ist, aber das kann ich nicht glauben. Sie muss doch zumindest den Film gesehen haben. »Willst du damit sagen, du weißt nicht, wer Mr. Darcy ist?«
Sie sieht mich argwöhnisch an.
»Nicht der Typ, der im Mac-Store arbeitet?«, fragt sie vorsichtig.
»Nein!«, herrsche ich sie ungeduldig an. »Er ist der attraktivste, romantischste Mann, den man sich nur vorstellen kann. Er ist nicht nur respektvoll und weiß, wie man eine Frau behandelt, nein, er ist auch noch ein eleganter, grüblerischer Held voll gezähmter Leidenschaft, die nur darauf wartet, entfesselt zu werden -«
»Meine Güte, das hört sich ja wie der feuchte Traum jeder Frau an«, kichert sie.
Ich werfe ihr einen strengen Blick zu. »Also, wo finden wir denn nun diesen Mr. Darcy?«, fragt sie, schlagartig ernüchtert. »Ich hätte nichts dagegen, ihn selber kennen zu lernen.«
Ich greife nach einem Exemplar von Stolz und Vorurteil und schwenke es wie ein Staatsanwalt das entscheidende Beweisstück.
Verwirrt reißt Stella die Augen auf und mustert mich einen Moment lang prüfend. Dann fällt der Groschen.
»Ein Buch?«, stöhnt sie ungläubig. »Dieser atemberaubende Mann, von dem du schwärmst, ist eine Figur aus einem Buch?« Einen Augenblick lang starrt sie mich mit weit aufgerissenen Augen wütend an, dann kommt sie die Leiter heruntergestapft und reißt mir abrupt das Taschenbuch aus der Hand. »Ich sage dir, warum du nicht mit diesem verdammten Mr. Darcy ausgehen kannst«, schimpft sie. »Weil er eine Erfindung ist.« Sie klettert die Leiter wieder hinauf und hält das Buch so, dass ich es nicht erreichen kann. »Er ist nicht echt. Ehrlich, Emily. Manchmal bist du so hoffnungslos romantisch.«
In ihrer Stimme schwingt so großes Mitleid mit, als litte ich unter einer tödlichen Krankheit.
»Was ist so falsch daran, eine hoffnungslose Romantikerin zu sein?«, frage ich trotzig.
»Nichts«, antwortet sie achselzuckend, lässt sich auf die oberste Stufe der Leiter fallen und zieht die knochigen Knie an ihre Brust. »Aber ich fürchte, du wirst den Tatsachen ins Augen sehen müssen. Du musst in der Realität leben. Dies hier ist New York im 21. Jahrhundert und kein …«, sie unterbricht sich, um den Klappentext zu lesen, »ein Roman, der im ländlichen England des 19. Jahrhunderts spielt.«
Und dann beugt sie sich vor, reißt mir die restlichen Ausgaben von Stolz und Vorurteil aus den Händen und stopft sie unsanft in das Regal hinter sich. »Wiederhol das, Emily. Mr. Darcy existiert nicht.«
Zwei
D er Rest des Morgens vergeht in der Hektik des Weihnachtsgeschäftes wie im Flug. Die meisten Buchhandlungen heutzutage sind riesige Läden mit Filialen großer Café-Ketten, die eher an ›Nimm-drei-zahl-zwei‹-Werbeaktionen,Absatzzahlen und dem Verkauf von überteuerten, fettarmen Latte Macchiatos interessiert sind, aber McKenzie’s ist anders.
Unser Laden ist klein, seit drei Generationen im Besitz derselben Familie und liegt in einer schmalen Seitenstraße, eingequetscht zwischen einem Hutmacher und einer italienischen Bäckerei. Die meisten Passanten gehen daran vorbei, weil sie zu beschäftigt sind, all die verrückten und wundervollen Hüte im Schaufenster nebenan zu bewundern oder beim Nachbarn ein überbackenes Ciabatta-Sandwich zu bestellen. Sie bemerken die alte Mahagonitür mit dem nach Originalschablonen gravierten Glas nicht, durch das die Nachmittagssonne scheint und Lichtmuster auf den gebohnerten Holzfußboden zaubert. Aber für all jene, die uns besuchen, sei es aus Zufall oder auf Empfehlung, ist das erste Mal niemals das
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