Ein Mann will nach oben
beiden Frauen wirtschaften. Um den vertrockneten Fliegenfänger spielten die Fliegen. Er saß da und saß – die Zeit wurde ihm sehr lang. Wozu saß er hier?
Die beiden Frauen nebenan schienen sich zu streiten. Plötzlich hörte er die scharfe Stimme der Schwägerin: »Für so was haben wir kein Geld!« Dann murmelte die alte Minna.
Er stand auf, öffnete ein Fenster und sah hinaus. Aber er sah nichts. Ungeduld, Unruhe, Ärger saßen ihm in den Gliedern. Am liebsten wäre er auf der Stelle fortgegangen. Das sah ihnen so ähnlich, dem Gast der alten Minna, die den ganzen Tag für sie rackerte, nicht einmal ein paar Eier und ein bißchen Speck zu gönnen. Aber er konnte es ihr nicht antun, er mußte schon sitzen bleiben und sich durch das ungegönnte Essen hindurchschlagen.
Er tat es, sie redeten kaum dabei, die Tür zur Küche war nur angelehnt. Dann stand er auf und sagte: »So, Minna, das hat wieder einmal großartig geschmeckt! Zum ersten Mal wie früher zu Haus!«
Ein schwaches Lächeln kam bei ihr. »Das ist recht, Karl.«
»Und nun bringst du mich ein Stück zurück zur Stadt, Minna, nicht wahr?«
»Möchtest du? Na schön, ich will sehen … Dann warte mal …«
Wieder mußte er lange warten, aber diesmal hörte er wenigstens kein Gezanke. Die Fliegen tanzten weiter um den Fänger – eigentlich war es ganz schrecklich, hier so sinnlos herumzustehen. Minna hatte nur Schwierigkeiten dadurch.
Dann kam Minna. Sie hatte ihren Sonntagsstaat angezogen, er kannte noch jedes Stück: das schwarze Wollkleid mit dem weißen Kragen und die Brosche mit den Vergißmeinnicht. Wer weiß, aus welcher frühen Zeit der Minna diese Brosche wohl stammen mochte? Vielleicht war auch dieses alte hölzerne Mädchen einmal zu Zärtlichkeiten geneigt gewesen? Sicher, einmal war sie genauso jung gewesen wie er, hatte ebenso wie er viel vom Leben erwartet. Ach, wie trostlos war es doch, in eine aufgegebene Heimat zurückzukommen. Nie wieder brennen die Feuer, die einmal erloschen sind. Asche, nur Asche. Staub, nur Staub. Erde …
Sie gingen zwischen den Feldern, ab und zu sagte Minnaein spärliches Wort: »Die Kartoffeln sehen gut aus. – Der Roggen müßte auch runter –«
Karl Siebrecht blieb stehen. »Minna!« sagte er. »Alte Minna, warum bleibst du bei den Leuten, die unfreundlich zu dir sind? Das hast du doch nicht nötig!«
»Du hättest mir gerne mal einen Brief schreiben können«, sagte sie hart. »Dann hätte ich eine Freude gehabt.«
Er schwieg schuldbewußt. Er hätte es wirklich tun können. Er hätte sogar häufiger schreiben können, für einen Brief wäre immer mal Zeit gewesen. Aber er hatte es nicht getan. Er hatte nun einmal keine glückliche Hand im Umgang mit den Menschen, die er gerne hatte. Er war wohl nur ein Egoist! Nach einer Weile, während sie stumm weitergegangen waren, sagte er bedrückt: »Könntest du es wohl übers Herz bringen, zu mir nach Berlin zu kommen, Minna? Es geht mir jetzt recht gut. Und du könntest schön im Hause helfen. Du müßtest nicht ohne Arbeit sein, Minna.«
Sie sah ihn kurz von der Seite an. »Du hast mit dir selbst zu tun. Sieh nur, daß du selber zurechtkommst.«
»Aber es geht mir wirklich gut, Minna! Ich verdiene jetzt schönes Geld, und ich werde noch viel mehr Geld verdienen.« – Sie schwieg hartnäckig. Aber er spürte ihren Unglauben. Um sie zu überzeugen, sagte er: »Ich habe schon fünf Autos laufen, ich fahre nämlich Gepäck von den Bahnhöfen. Und fünf neue Autos sind schon bestellt!«
»Ach, red bloß nicht!« sagte sie kurz. »Du bist genau wie dein Vater: wenn der einen Bauauftrag bekam, rechnete er mir schon die Tausender vor, die er verdienen würde.«
»Aber es ist wirklich wahr, Minna! Komm nur hin, sieh es dir selbst an!«
Sie blieb stehen, plötzlich funkelten ihre alten Augen vor Zorn. »Du Aufschneider!« rief sie. Genauso ein Prahlhans wie dein Vater bist du! Die haben dich doch gesehen, Karl, nicht nur einer, vier, fünf Leute hier aus der Stadt haben dich gesehen! Mit einer Karre, in einer zerlumpten Jacke bist du in Berlin herumgelaufen, angebettelt hast du die Leute richtig,daß du ihre Koffer tragen dürftest! Ich habe mich ja so geschämt!«
Er schwieg überwältigt. Das hätte er sich ja eigentlich sagen können, daß ihn seine lieben Vaterstädter, die ja auch einmal nach Berlin kamen, dort sehen mußten und daß sie das Gesehene in der ganzen Stadt weitererzählen würden, vergröbert, entstellt, auch böswillig verleumdend.
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