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Ein Mann will nach oben

Ein Mann will nach oben

Titel: Ein Mann will nach oben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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trug.
    Aber plötzlich sind da Lichter, viele Lichter in der Nacht! Der Zug scheint eiliger zu fahren, als sei er nun wegen des Zieles und wegen des Ankommens am Ziel sicher: Ja, er wird schon nach Berlin kommen – aber wie wird er sie finden? Wird er sie überhaupt noch finden? Drei Jahre haben sie nichts von ihm gehört, drei Jahre hat er von ihnen kein Wort vernommen – leben sie noch, Kalli und der Rittmeister? Wo und wie lebt Rieke in dieser verwandelten Welt?
    Ja, der Zug fährt wirklich schneller, aber für ihn fährt er lange nicht schnell genug. Drei Jahre kein Wort – und sie werdenihn alle für tot gehalten haben. Er ist da in Frankreich umhergegangen, all diese Jahre nach seiner Schädelverletzung, und hat nichts mehr von sich gewußt – ein Namenloser, ein Ausgelöschter. Er hat wohl gegessen und getrunken, er hat auch die Arbeit getan, zu der sie ihn schickten, seine Hände haben sie getan. Er selbst aber hatte vergessen, er hatte sich an nichts mehr erinnert. Er lebte ohne Freude und Schmerz – wie eine Pflanze. Vielleicht tat ihm die Sonne gut, vielleicht schmeckte ihm ein Essen besser als das andere – er wußte es nicht. Er war ohne Gedächtnis: die Tage zogen über ihn dahin, wie die Wolken über das Land ziehen mit Licht und Schatten, sie hinterlassen keinen Eindruck.
    Dann hatten sie wohl entdeckt, daß er vom Vater her ein bißchen mauern konnte. Sie hatten ihn aus dem Lager zu Flickarbeiten in die Häuser geschickt. Und da war es geschehen, daß er etwas hörte, ein vertrautes Geräusch, Treten und Surren … Sie hatten es ihm erzählt: er hatte dagestanden, den Mauerstein in Händen, ein schwaches Leuchten auf dem Gesicht … Sein Gehirn erinnerte sich, zum ersten Mal seit Jahren erinnerte sich sein Hirn wieder … Ein kleines bekanntes Geräusch – ach, es hatte sich ihm wohl so eingeprägt vor allen anderen Geräuschen, diese verdammte Engländerin, um die er gelitten und gestritten!
    Mit dem Mauerstein in den Händen war er wie in tiefem Traum in jenes Zimmer gegangen, aus dem das Geräusch der Nähmaschine gedrungen war. Die Frau, die dort genäht hatte, war erschrocken aufgesprungen, als der Kriegsgefangene mit dem Stein in den Händen hereingekommen war. Aber schon der Ton seiner Stimme, mit dem er »Rieke! Rieke!« sagte, hatte sie beruhigt. Und er hatte sofort, wie aufwachend, erkannt, daß dies nicht Rieke war. Er lebte in einem fremden Land, es war dasselbe Geräusch, aber nicht Rieke nähte. Rieke war noch fern …
    Noch mehr Lichter, stärkeres Aufklirren, dröhnendes Rauschen, wenn der Zug die immer dichter aneinander liegenden Vorortbahnhöfe passierte. Schneller, schneller doch! Ich habeso viel Zeit versäumt, ich muß wissen, wie sie alle leben, wie Rieke lebt. Warum hatte er ihr nie ein Wort geschrieben? Ach, als er aus seinem langen, traumlosen Schlaf erwachte, war ja schon Friede. Oder wenn dies noch nicht Friede war, so hieß es doch Waffenstillstand, der zum Frieden führen sollte. Jeden Tag konnten die Gefangenen in ihre Heimat entlassen werden. Mündlich war alles so viel besser zu erklären … Aber Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat verging, und die Kriegsgefangenen hofften vergebens. Weiter flickten sie Häuser, bauten Straßen, sägten Holz, wurden angeschrien und waren weiter Feinde. Hungerten, liefen immer zerlumpter herum. Bis er dann plötzlich mit einem kleinen Trupp Kranker zur Bahn geschickt wurde, auch ihn rechnete man wohl immer noch zu den Kranken.
    Der Zug fährt langsamer. Die Lokomotive schreit ungeduldig ein sperrendes Signal an, dann halten sie endlos. Karl Siebrecht geht rasch in sein Abteil und holt den Karton mit all seinen Besitztümern: ein bißchen schmutzige Wäsche. Die andern sind noch immer beim Reden. Oder schon wieder, es kommt auf eins heraus.
    Bahnhof Charlottenburg! Bahnhof Zoologischer Garten! Wieviel Erinnerungen! Wieviel Arbeit! Ganz zum Schluß fuhren die Kanalljenvögel schon im Westen. Wo sind sie hin? Ach, er wird eben noch einmal von vorne anfangen. Es geht schon … es wird schon gehen, jetzt, da er heimgekehrt ist. Wenn er sie nur findet! Sie –? Sie alle? Ja, wenn er sie nur findet, sie, Rieke! Bahnhof Friedrichstraße! Fast taumelnd steigt er aus, in den Gliedern noch das zitternde Geräusch der endlosen Fahrt – nur noch eine Viertelstunde Weg trennt ihn von seinem Ziel, seinem endgültigen Ziel!
    Er läuft fast durch die Friedrichstraße. Er hat jetzt kein Auge für den jämmerlichen Trödelmarkt, der

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