Ein Mann will nach oben
bestellte er sich ihn und fuhr mit ihm die halbe Nacht durch, auf der Straße nach Bitterfeld-Halle, immer hinter einem anderen Lastzug her. Er lehrte ihn, Abstand zu halten und doch nie den Vorfahrer zu verlieren, zu bremsen, wenn der bremste, Gas zu geben, wenn der Gas gab – immer im gleichen Abstand, Stunde um Stunde. Es durfte keine Müdigkeit geben, kein Nachlassen der Aufmerksamkeit. Und dann, als sie kehrtmachten, wieder auf Berlin zu fuhren, freie Fahrt vor sich – behauptete der Fahrlehrer, ein Reifen sei defekt, und er ließ ihn mitten in der Nacht diesen Reifen auswechseln, allein. Er stand bloß stumm daneben. Dann, dreißig Kilometer weiter, war der zweite Reifen auszuwechseln, und schon nach zwanzig Kilometern der dritte …
Vor dem Kriege hätte der junge Mensch gemeutert, er hätte sich nicht so schinden lassen. Nun hatte er stummes Gehorchen gelernt, er wechselte auch den dritten Reifen ohne ein Wort. Seine Hände zitterten, ein unverträglich juckendesHitzegefühl plagte ihn, alle Muskeln schmerzten, am liebsten hätte er sich in den Graben geworfen und hätte geschlafen …
Als sie wieder nach Berlin hereinkamen, dämmerte es schon. Der Lehrer sagte zu ihm: »So, nun schlafen Sie zwei Stunden hier auf meinem Sofa. Um acht machen Sie Ihre Fahrerprüfung.«
Er schlief wie ein Stein, und die Prüfung kam ihm dann wie ein Kinderspiel vor. Der Polizeihauptmann ließ ihn kaum fünf Minuten fahren, dann nickte er: »Schon im Kriege gefahren, was?«
»Im Kriege war ich in Gefangenschaft«, antwortete Karl Siebrecht.
»Auch in der Gefangenschaft kann man lernen, sehr viel sogar«, sagte der Polizeihauptmann. »Na, es ist gut, Kamerad.«
Etwas verwirrt ging Karl Siebrecht mit seinem neuen Führerschein aus dem Polizeipräsidium. Nun war nur die Frage, wem er zuerst davon sprach: Rieke oder dem Engelbrecht? Er ging zu Engelbrecht.
68. Dumala tritt auf
Der Händler Engelbrecht reichte Karl Siebrecht seinen Führerschein zurück. »Na also!« sagte er. »Und was wollen Sie nun tun?«
Etwas ärgerlich antwortete Siebrecht: »Ich dachte, was nun kommt, wollten Sie mir sagen.«
Sie saßen in dem kleinen Bürohaus am Eingang des Fuhrhofs. Es war behaglich warm. Nebenan klapperte eine Schreibmaschine. Der junge Mann war nach der durchwachten Nacht müde und gereizt. Jetzt ärgerte es ihn plötzlich, daß er zum Händler und nicht zu Rieke und Kalli gegangen war. Das Autotaxi wartete schon auf seinen Fahrer, und die ganze Nacht war er auch ohne jede Nachricht ausgeblieben!
»Tjaa!« sagte der Händler in seiner schlaffen, teilnahmslosen Art. »Meistens fahren wir jetzt Briketts von einer Senftenberger Grube direkt nach Berlin, weil’s mit der Bahn nichtklappt. Sie müßten morgens um sechs an der Grube sein, wenn die dort aufmachen, sonst gehen Sie leer aus. Das heißt also, Sie müßten hier abends um acht oder neun abfahren. Ich weiß nicht, ob das was für Sie ist?« Er sah den jungen Mann fragend an. In dem verstärkte sich das Gefühl des Ärgers und der Enttäuschung. Briketts spazierenfahren, das war schließlich auch nicht viel anders als Menschen in Berlin herumfahren. Darum seine Selbstständigkeit aufgeben! Er schwieg aber, und Engelbrecht fuhr nach einer kurzen Pause fort: »Dann haben wir hier in Berlin Erde von Ausschachtungsarbeiten zu fahren. Sie bauen da im Grunewald eine neue Straße. Es ist Akkordarbeit, man kann ganz schön dabei verdienen, wenn man fahren kann. Wie ist es damit?« Wieder schwieg Karl Siebrecht. Wozu hörte er sich diesen langweiligen Schwätzer eigentlich noch an? Am besten stand er auf, ging zu Rieke, schwieg ganz von diesem Narrenstreich, noch eine Fahrerprüfung gemacht zu haben, und fuhr weiter brav sein Taxi … »Auch nichts?« fragte Engelbrecht. »Ja, dann weiß ich nicht … Was haben Sie sich denn eigentlich gedacht?«
»Ich weiß es auch nicht«, antwortete Karl Siebrecht und stand auf. »Wahrscheinlich irgend etwas, was andere nicht machen können oder nicht tun mögen. Aber ich sehe schon, so was wissen Sie auch nicht.«
»Irgendwas, wozu ein Mann gehört?« fragte der Händler.
»Ja, vielleicht. Aber ich gehe jetzt lieber nach Haus, sonst schlafe ich Ihnen hier noch ein. Ich bin die ganze Nacht durchgefahren.«
»Schlafen Sie hier«, schlug der Händler vor. »Bis Dumala kommt.«
»Und wer in aller Welt ist Dumala?«
»Das muß er Ihnen selbst sagen – wenn er es Ihnen sagt.« Der Händler, soweit es sein schlaffes, ausdrucksloses Gesicht
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