Ein Mann will nach oben
Händler sah ihn schlaff und gleichgültig an. »Also dann in vierzehn Tagen wieder«, sagte er und ging endgültig.
Karl Siebrecht sah ihm unwillig nach. In vierzehn Tagen kannst du aber lange warten, dachte er und stieg wieder in sein Taxi. Den Rest seiner Tagesfuhren erledigte er so in Gedanken, daß er einen Gast dreimal fragen mußte, wohin er ihn eigentlich fahren sollte: während des Fahrens vergaß er immer wieder das Ziel. Als er dann nach Haus gekommen war, wollte er eigentlich mit Rieke und Kalli von dem Pferdehändler Engelbrecht reden. Aber im letzten Augenblick hielt er den Mund. Er mußte sich erst selbst über die Sache klarwerden. Der Engelbrecht war kein Schwätzer, er war auch kein Phantast wie der Franz Wagenseil. Wenn der so etwas vorschlug, steckte auch etwas Vernünftiges dahinter, jedenfalls etwas Besseres als Taxifahren.
Zwei Tage kämpfte er mit sich. Aber im Grunde war der Kampf von der ersten Stunde an entschieden. Der Händler Engelbrecht verstand sich nicht nur auf Pferde, sondern auch auf Menschen. Vielleicht, wenn der Mann mehr erzählt, etwas von der künftigen Tätigkeit Siebrechts berichtet hätte, hätte der sich nicht so rasch entschlossen. Aber da war etwasNeues, das Geheimnis lockte – und er war seines jetzigen Berufes so überdrüssig! Er war so müde, stundenlang an irgendwelchen Haltestellen auf Fahrgäste zu lauern, die dann, wenn er gerade an die Spitze der wartenden Wagen gerückt war, in den letzten Wagen stiegen,
wenn
es Damen waren.
Er war es so müde, das ewige Ticken der Taxameteruhr hinter seiner Schulter zu hören: jetzt hatte sie ihm endlich ein Brot zusammengetickt, aber auf die Butter dazu durfte er noch lange warten! Er haßte es so ingrimmig, abends seine Tageslosung an Rieke abzuliefern – sie führte die Kasse –, und an ihrer gemachten, übertriebenen Harmlosigkeit merkte er, daß er wieder weniger als Kalli Flau verdient hatte. Er haßte es jetzt sogar, in den Garten einer bestimmten Grunewaldvilla zu gehen – auf den Wegen sammelte sich schon wieder totes Laub. Ein Jahr war vergangen, nichts war geschehen. Wie ein Bettler stand er in dem Garten, schließlich steckte er doch noch einen Bettelbrief durch den Schlitz an der Tür! Nein, lieber ging er doch zu einem Lehrer und meldete sich für den Fahrunterricht an, er spielte die Karte, die ihm der Zufall in die Hand gesteckt hatte. Weiß Gott, ob überhaupt ein einziger Gewinn im Spiel war! Aber er spielte sie ganz für sich allein, niemanden ließ er in seine Karten sehen. Kalli nicht, auch Rieke nicht. Er wußte nicht, warum er mit ihnen nicht darüber sprechen mochte, er war nun einmal so. Und sie würden sich ihr Teil schon denken. Sicher nicht das Richtige; aber daß er wieder etwas vorhatte, das mußten sie ja merken. An den immer weiter sinkenden Einnahmen, denn er ließ seinen Wagen einfach »Außer Betrieb« stehen, wenn er im Fahrunterricht war. An seiner veränderten Stimmung, er war wacher, lebendiger geworden. Neues Blut war in sein Leben gekommen, seine Stimme war frischer. Er grübelte nicht mehr stundenlang vor sich hin, eine Entscheidung war getroffen, es gab wieder etwas, auf das er warten und hoffen konnte.
Wie alle Fahrer von Personenwagen hatte er sich oft über die großen Lastwagen geärgert, wenn er im Straßenverkehr hinter ihnen lag und an diesen schwerfälligen Ungetümendrei Minuten lang nicht vorüber konnte. Jetzt lernte er anders über die Fahrer dieser Wagen denken. Er lernte erkennen, welche Kraft und Disziplin dazu gehörte, so schwere Wagen mit zwanzig Tonnen Last durch den Straßenverkehr zu steuern, auszubiegen, zu überholen, zu halten – alles Fahren mit Personenwagen war dagegen Spielerei! Er hatte einen guten Fahrlehrer, einen Mann, der selbst im Kriege seinen Lastzug gesteuert hatte. Dieser Lehrer schenkte ihm nichts. Drei Tage lang exerzierte er mit seinem Schüler Einkehren auf einem Hof, der nicht viel länger war als der Lastwagen mit seinem Anhänger. Mitten aus dem Straßenverkehr schickte er ihn überraschend durch einen engen Torweg, der dem Lastwagen keinen halben Meter Spielraum ließ, jagte ihn über einen Hof, durch einen zweiten Torweg, und dann ließ er ihn zurückfahren, ohne Anhänger, mit Anhänger – hinterher klebte Karl Siebrecht das Hemd am Leibe. Vielleicht hatte der alte zähe Mann einen Narren an diesem Schüler gefressen – es war unmöglich, daß er jedem soviel Zeit widmen konnte wie diesem einen. An einem späten Abend
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