Ein Mann will nach oben
dachte: Gott, hier ist ja der Fuhrhof von Franz Wagenseil! Bestimmt war er schon öfter daran vorübergefahren, aber er hatte nicht daran gedacht. Wer war heute Franz Wagenseil? Wo war er? Zugrunde gegangen oder wieder emporgetrieben von der Zeiten Gunst, die allen Sumpfblasen so förderlich war –? Es interessierte ihn nicht.
Aber er stieg doch vom Wagen, ging ein paar Schritte und sah von der Straße auf den Fuhrhof. Er hatte sich gewaltig verändert, er sah sehr anders aus als zu Franzens Zeiten. Hier regierte Franz Wagenseil bestimmt nicht mehr, dafür war alles zu ordentlich, zu aufgeräumt, zu planmäßig angelegt. Rechter Hand lagen wie früher die Stallungen, aber sauber verputzte Stallungen, und linker Hand, wo früher Kohlen und Brennholz gelegen hatten, standen jetzt Garagen, ein paar kleinere für Personenwagen und fünf oder sechs sehr große für Lastwagen. Der Anhänger eines Lastwagens stand mitten auf dem Hof, ein Mann murkste an dem Rad herum.
Die Bretterbude links vom Eingang, die Franz Wagenseil früher sein Büro genannt hatte, war verschwunden, und an ihrer Stelle gab es jetzt ein kleines, gelb verputztes Haus mit der Inschrift »Emil Engelbrecht«. Karl Siebrecht stand noch da und dachte nach über diesen Viehhändler Engelbrecht, der nun also wirklich das Wagenseilsche Besitztum an sich gebracht und etwas daraus gemacht hatte – das mußte man schon zugeben. Ein schlaffer, fetter Mann mit einem talgigen Gesicht und merkwürdig kleinen dunklen Augen, wenn er sich recht erinnerte …
Während er noch an diesen Mann dachte, der einmal sein Kompagnon hatte werden wollen, den er gewaltig hatte abblitzen lassen, ging die Tür zu dem Bürohaus auf, und dieser selbe Mann trat auf den Fuhrhof heraus, genau, wie er ihn in Erinnerung hatte: fahl, fett, schlaff, talgig. Nun trug er auch noch einen khakifarbenen Anzug, der das Erdige, Farblose des Mannes noch unterstrich. »Herr Engelbrecht!« rief Karl Siebrecht unwillkürlich, als der Mann sich zu dem Anhängerwandte: »Einen Augenblick mal!« – Der Mann blieb stehen und sah den Chauffeur in der Lederjacke mit seinen kleinen Augen musternd an. – »Kennen Sie mich nicht mehr?« fragte Siebrecht.
»Natürlich!« antwortete der Viehhändler. »Sie sind der Mann, der den Wagenseil reingelegt hat.« Er hängte seine schlappe Hand in die des jungen Menschen. »Siebrecht, nicht wahr?«
»Der Franz hat sich ganz alleine reingelegt«, widersprach Siebrecht ärgerlich. »Dazu hat er mich nicht gebraucht.«
»Richtig!« sagte Engelbrecht. »Übrigens geht es ihm wieder einigermaßen. Er ist Lageraufseher in Mariendorf oder Friedrichsfelde.«
»Das freut mich, ich dachte schon, er wäre ganz hops gegangen.«
»Der nicht. Der nie!« antwortete der Händler. »Und was machen Sie?«
»Ich fahre ein Taxi«, sagte Karl Siebrecht und ärgerte sich wieder einmal, daß er es tat, denn es
war
ein Abstieg!
»So!« Der Händler trat einen Schritt auf die Straße hinaus und sah nach dem Wagen hin.«Ein Fiat, was? Sieht ordentlich aus. Eigentum?«
»Ich fahre ihn mit meinem Freund zusammen. Vielleicht erinnern Sie sich an ihn? Kalli Flau?«
Emil Engelbrecht bewegte die Achseln. »Man lernt so viele Menschen kennen«, meinte er.«Man kann sie nicht alle behalten. Pferde, ja, da vergesse ich keins, das durch meinen Stall gegangen ist, aber Menschen –« Wieder bewegte er die Achseln. Dann deutete er nach dem Taxi: »Lohnt sich denn das?«
»Man lebt«, antwortete Karl Siebrecht und bewegte nun seinerseits die Schultern.
Eine Pause entstand, schon wollte sich Karl Siebrecht verabschieden, da fing Engelbrecht wieder an. »Mit der Gepäckabfuhr ist es Scheibe, was?«
»Jawohl«, gab Siebrecht zu. »Und bleibt’s auch lange noch.«
»Richtig!« sagte der Händler und schwieg. Dann deutete ermit dem Daumen nach dem großen Anhänger. »Die Dinger sollten Sie fahren können«, meinte er. »Aber das können Sie nicht?«
»Nein. Ich habe nur den Führerschein für Personenwagen.«
»Ich an ihrer Stelle machte die Prüfung für Lastwagen mit Anhänger. Die haben eine Zukunft sage ich Ihnen!«
»Ist das besser als Taxifahren?«
Der Händler sah ihn einen Augenblick mit seinen kleinen glanzlosen dunklen Augen an. »Wenn Sie
den
Führerschein haben, weiß ich vielleicht was für Sie«, sagte er und wandte sich zum Gehen.
»Halt, Herr Engelbrecht!« rief Siebrecht. »Wenn Sie so was sagen, müssen Sie schon mehr erzählen! Was hätten Sie dann für mich?«
Der
Weitere Kostenlose Bücher