Ein Mann will nach oben
kriegen.«
»Fünfzig Dollar – und ich fahre Sie!«
»Fünfzig Dollar – Sie sind ja wahnsinnig! Wer hat denn heute fünfzig Dollar? Ich werde Ihnen fünf Dollar geben und den Rest in Papiermark.«
Eine Weile stritten sie sich. Herr Kalubrigkeit schien sehr viel an dieser Fahrt zu liegen, schließlich zahlte er sogar zehn Dollar an. »Ich muß aber erst noch mal nach Hause«, sagte Karl Siebrecht. »Ich muß meinem Kollegen Bescheid sagen, daß das Taxi morgen früh nicht da ist.«
»Und hauen mit meinen zehn Dollar ab! Nein, mein Lieber, da fahre ich mit! Wohin müssen Sie denn?«
»Gleich bei der Königstraße, es ist kein großer Umweg.«
»Schön. Ich hole dann meine Taschen. In fünf Minuten können wir fahren.«
Allein geblieben, sah Karl Siebrecht lange auf die schlafende Fremde. Sie war wirklich fast noch ein Kind, vielleicht siebzehn Jahre, vielleicht noch jünger. Sie schlief den schweren Schlaf der Betäubung, kaum war zu merken, daß ihr Atem ging. Ihr Gesicht hatte einen gespannten, einen bemühten Ausdruck, es sah aus, als lerne ein Kind seine Schularbeiten. Karl Siebrecht, als er dieses Mädchen so schlafen sah, hatte einen seltsamen Einfall. Er nahm die beiden Fünfdollarscheine, die ihm der Kalubrigkeit gegeben hatte. Siebrecht hatte sie gerne genommen, so brachte er doch etwas von dieser vertanen Nacht zu Rieke. Aber nun steckte er die beiden Scheine in die Handtasche. Er sah ein Kärtchen darin, er nahm es heraus, »Hertha Eich« stand darauf. Einen Augenblick zögerte er, dann schrieb er auf das Kärtchen: »Einen Gruß von Ihrem Chauffeur. Gehen Sie nicht wieder so aus.« Er war in Versuchung, das Kärtchen wieder zu zerreißen, aber dann steckte er es doch zurück. Es würde eben morgen zerrissen werden. Sie würde sich noch ein paar Tage lang schämen, aber dann würde sie sich damit trösten, daß sie den Chauffeur nie wieder sehen würde. Allmählich würde sie auch das Schämen vergessen. Der Mensch war so. Zu Anfang hatte er sich noch geschämt, daß er eine so schlechte Ehe mit Rieke führte. Jetzt hatte er sich längst daran gewöhnt und schämte sich nicht mehr. Jetzt nahm er schon Geld, das sie nötig brauchte, und steckte es jungen Mädchen in die Handtasche. Wozu eigentlich? Die Wohnung sah aus, als wohnten reiche Leute darin. Aber er tat es eben!
Herr Kalubrigkeit kam zurück. »Die schläft aber fest!« sagte er unzufrieden. »Machen Sie schon das Licht aus, und seien Sie leise auf dem Flur. – Nein, die Handtaschen trage ich selbst, sie sind ganz leicht.« Er war sehr besorgt um dieseTaschen, der Herr Kalubrigkeit, und Karl Siebrecht konnte sie ihm gerne lassen, sie würden bald gut aufgehoben sein. Hoffentlich war etwas Nennenswertes drin, er dachte jetzt schon etwas wärmer an den Herrn von Senden.
Karl Siebrecht fuhr ohne Halten direkt vor das Polizeipräsidium am Alexanderplatz. Herr Kalubrigkeit war bis zur letzten Sekunde ohne allen Argwohn, er glaubte ja, der Chauffeur wohne in dieser Gegend.
Kaum hielt der Wagen, war Karl Siebrecht schon draußen und lief auf den Polizeiposten am Tor zu: »Nehmen Sie den Mann in meinem Wagen fest! Es ist der Bauunternehmer Kalubrigkeit, der steckbrieflich gesucht wird.«
Kalubrigkeit saß noch brav im Wagen, er hatte überhaupt nicht begriffen, wo sie hielten. Er war schon auf der Fahrt nach Leipzig und weiter in die Schweiz. Völlig verwirrt folgte er dem Wachtmeister in das Präsidium, er bestand immer noch darauf, seine Taschen selbst zu tragen, Karl Siebrecht ging leer hinterdrein.
Der übermüdete, gereizte Kommissar vom Nachtdienst nahm seufzend einen neuen Bogen. »Sie heißen? Franz, Kaufmann Otto Franz? Polizeilich gemeldet? Ja? Haben Sie einen Ausweis bei sich? Reisepaß, ja? Schön. Scheint in Ordnung. – Wie kommen Sie denn zu der Annahme, daß der Herr der Bauunternehmer Kalubrigkeit ist? Sie sind wohl auf die Belohnung scharf?«
»Ich kenne den Herrn Kalubrigkeit seit über zwölf Jahren. Ich habe zuerst bei ihm auf einem Bau in Pankow gearbeitet. Dann später in seinem Zeichenbüro in der Krausenstraße. Ich kenne ihn genau.«
»Eine Verwechslung«, sagte Herr Kalubrigkeit. »Vielleicht sehe ich dem Herrn ähnlich. Ich habe natürlich nie einen Bau in Pankow gehabt. Auch nie ein Zeichenbüro unterhalten. Der Chauffeur irrt sich.«
»Ich heiße Karl Siebrecht. – Sie erinnern sich an meinen Namen nicht? Nun, das ist kein Wunder, es ist lange her. Aber Sie erinnern sich an die Trockenmieter, wissen Sie
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