Ein Mann will nach oben
Begleiter, die Treppe hinunter. Schweigend folgte ihm Karl Siebrecht.
Wenn der Junge aber gemeint hatte, Busch würde ihm irgendein Wort über das Ziel ihres Weges und die Art der möglichen Arbeit sagen, so hatte er sich geirrt. Der Mann ging dahin, mit einem ruhigen, wie abwesenden Schritt, als gingendie Beine, ohne vom Kopf geführt zu werden, und nicht einmal sah er sich um nach dem Jungen. So plötzlich blieb Busch stehen, daß Karl schon fünf Schritte weiter war. Er kehrte um. Busch stand mit anderen an einer Straßenbahnhaltestelle. »Fahren wir mit der Straßenbahn, Herr Busch?« fragte Karl, den es drängte, dies drückende Schweigen zu brechen.
Der Mann kramte in seinen Taschen, brachte eine kurze Pfeife zum Vorschein, stopfte sie umständlich aus einer Tabaktüte, brannte sie an, tat die ersten Züge – und längst waren Frager und Frage vergessen. Da er aber an der Haltestelle stehenblieb, so nahm Karl an, daß doch gefahren wurde. So war es auch. Manche Elektrische war schon weitergefahren, nun ging Busch auf die Fahrbahn, stieg in eine eben haltende ein, zwängte sich auf die volle Vorderplattform, und Karl sprang schnell nach. Graue Straßen glitten vorbei, nicht unterscheidbar, schien es dem Jungen, Dutzende, Hunderte, Tausende von Häusern, alle grau in grau im Novembernieseln, eines wie das andere. Und die Menschen, alle grau, alle grämlich oder verbissen, alle stumm …
Dann stieg Maurer Busch ab. Hier war Berlin schon locker geworden. Die Reihen nüchterner fünfstöckiger Mietskasernen an der Straße waren zahnlückig, es gab zwischen ihnen eingeplankte Bauplätze, Holz-und Brikettlager, wüste Schuttansammlungen und auch einmal ein Stück Feld, das mißfarben, wie zum Tode verurteilt, unter dem grauen Novemberhimmel dalag. Noch immer sprach Maurer Busch kein Wort zu dem Jungen. Er ging mit demselben geistesabwesenden Schritt und grüßte auch die anderen Maurer nicht, die gleich ihm ihren Baustellen zustrebten. Sie riefen wohl einmal: »Na, Blaumachen alle, Walter?« Aber er starrte halb schräg vor sich auf die Erde und schien sie nicht zu hören.
Sie waren zwei-oder dreimal um eine Ecke gebogen und gingen nun auf einer sandig zerfahrenen Straße, die ungepflastert war. Hier war noch nichts gebaut, es gab Feld, es gab Lauben, es gab Sandgruben, wieder viel Schutt und Müll – und nur gerade vor ihnen gab es einen ganzen großen Häuserblockin allen Stufen der Fertigstellung: halbhoch, hoch und ungedeckt, schon geputzt, mit Fenstern und Türen darin. Ja, es gab sogar schon ein paar jämmerliche Ziehwagen mit den zusammengestoppelten, verbrauchten Möbeln ärmster Leute. In manchen Fenstern gloste die rote Glut der Kokskörbe, die aus den noch feuchten Wänden das Wasser vertreiben sollte. Hier war Buschs Arbeitsstelle. Die anderen Maurer gingen in einen langen Schuppen, um ihre Säcke abzulegen. Busch aber blieb, mit gesenktem Kopf, in der Nähe eines schnurrbärtigen Mannes stehen, der eine ähnliche Joppe wie Karl Siebrecht trug, der also, der Junge erriet es, so etwas wie ein Polier oder Werkführer war. Der Mann sprach mit einem anderen, den eine Peitsche als Fuhrmann auswies. Nun drehte sich der Polier um, und sein Blick fiel auf den geduldig wartenden Busch. »Was, Sie, Busch?« rief er. Busch stand unbewegt.
Der Polier trat hitzig einen Schritt näher. »Sie haben doch wohl Ihre Papiere und Ihr Geld gekriegt, Busch?« rief er. »Ma chen Sie, daß Sie fortkommen! Für Sie gibt’s hier keine Arbeit mehr!« Der Mann stand wie zuvor, mit gesenktem Kopf, den Blick zur Erde. Noch einen Schritt näher rief der Polier: »Ich lasse mich nicht länger von Ihnen an der Nase herumführen, Busch! Ja, das glaube ich, jetzt beißt Sie die Reue! Aber das hilft Ihnen gar nichts – Sie lassen mich doch wieder sitzen, wenn uns die Arbeit am meisten auf den Nägeln brennt!«
Busch hob den Blick, diesen verwaschenen Blick, der nichts zu sehen schien. Da stand er, ein Bild der Kraft, mit einem rötlichen Vollbart, mit der Gesichtsfarbe eines Kindes, hübsch rosa und weiß, und genauso schuldbewußt wie ein Kind. »Sie lassen mich doch wieder sitzen, wenn uns die Arbeit am meisten auf den Nägeln brennt!« hatte der Polier gerufen.
Und »Ja, Herr!« hatte der Maurer Busch – ganz sinnlos – geantwortet.
»Daß Sie das verfluchte Saufen nicht lassen können, Busch!« rief der Polier wieder und trat noch einen Schritt näher an den Mann. »Ein Kerl wie Sie, tüchtig – was könnten Sie für ein
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