Ein Mann will nach oben
schmerzte. »Es muß aber nicht sein …« sagte sie leise.
»Doch, es muß sein …« antwortete er sanft und löste seine Hand.
Sie sagte leidenschaftlich: »Hier wurdest du gesund. Hier warst du ruhig und glücklich. Seit du wieder an die Stadt denkst, bist du voller Unruhe! Was willst du in Berlin? Was kann dir Berlin geben, das wir hier dir nicht geben können? Was hast du in Berlin verloren?«
»Alles!« sagte er. »Gerti, alles!«
Er betrachtete nachdenklich seine Hände. Während seiner langen Krankheit waren sie weiß und weich geworden, sie sahen so verändert aus, daß er sie neugierig ansah, als seien es fremde. Dann fiel ihm auf, daß der Ringfinger der rechten Hand leer war, er runzelte im Nachdenken die Stirn, da sagte sie schon hastig: »Du warst so mager geworden, Karl, der Ring fiel immer ab. Ich habe ihn dir aufgehoben, ich gebe ihn dir nachher.«
Er nickte ihr zu, er sagte: »Danke schön, Gerti. Manchmal ist mir, als wäre alles Frühere nur Traum, mühsam muß ich mich erinnern …«
»Warum läßt du es nicht Traum sein?« fragte sie eindringlich. »Warum mußt du zurück? Du weißt, du kannst bleiben, Karl. Die Eltern wären einverstanden, und ich würde dich nie etwas fragen.« Sie schwieg einen Augenblick, betrachtete ihn, der miteinem halben Lächeln vor sich hinsah. Noch dringlicher sagte sie: »Ich weiß viel mehr von dir, Karl, als du glaubst, du hast so viel geredet in den ersten Fieberwochen. Mit dir und mit anderen. Mit deiner Frau und deinem Freund Kalli. Ich weiß, daß du keine Frau mehr hast und keinen Freund, daß du dort ganz allein bist in der großen häßlichen Stadt! Warum willst du nicht hierbleiben in diesem schönen Land, bei mir?«
Er lächelte nicht mehr, als sie geendet hatte, er sah sie voll an, er gab ihr beide Hände. »Gerti«, sagte er, »ich war noch ein Junge, als ich das erste Mal in die Stadt kam. Ich hatte einen Traum geträumt, ich wollte mir diese Stadt erobern. Bisher hat die Stadt mich erobert. Ich gehöre ihr. Ich kann nirgends leben als in ihr. Und nun ich ein Mann geworden bin, muß ich sehen, daß ich wenigstens ein Stück meines Traumes zur Wahrheit mache. Alles andere, alle, die einst mit mir gelebt haben, sind nur Schatten, das Lebendigste in mir ist mein Traum. Ein Mann muß nach seinem Traum leben, nach dem Stern, den er in sich trägt – bliebe ich hier, ich wäre ein Mann ohne Traum und Stern, es würde nur ein vertanes Leben!«
»Aber wovon träumst du?« fragte sie eindringlich. »Ich verstehe dich nicht. Niemand hat je in diesem halben Jahr hier nach dir gefragt, nicht deine Kameraden, die dich in jener Winternacht in unser Haus trugen, nicht dein Freund, nicht deine Frau. Niemand scheint dich zu vermissen –«
Er nickte nur: »Nein – niemand.«
»Und die Stadt selbst – glaubst du denn, daß die Stadt dich vermißt? Was träumst du denn für einen Traum, der dich aus der Ruhe und dem Glück in Unruhe und Einsamkeit reißt?«
Er hatte ihre Hand zwischen seine Hände genommen, wie einst trennte er spielerisch ihre Finger und legte sie wieder zusammen. »Ich träume einen sehr seltsamen Traum, Gerti«, sagte er, und obwohl er bei seinen Worten lächelte, fühlte sie, daß er ganz ernst war. »Ich träume davon, daß ich die Koffer der Reisenden in der Stadt Berlin auf die schnellste, sicherste und billigste Weise befördern will. Das ist mein großartiger Traum …«
Als sie ihm unwillig ihre Hand entziehen wollte, sagte er ernster: »Werde doch nicht ungeduldig, Gerti, ich spreche im Ernst. Niemand hat mich je verstehen können – versuch du es doch. Ich habe nun eben keinen anderen, glänzenderen Lebenstraum. Wie ich zu ihm gekommen bin, ich weiß es nicht mehr. Aber er ist nun einmal da in mir. Andere träumen vielleicht davon, daß sie große Generale werden oder herrliche Bilder malen oder daß sie einen Hof wie den deinen noch musterhafter bewirtschaften – ich habe nun einmal keinen anderen Traum als diesen von den Koffern …«
Einen Augenblick schwieg er, dann sagte er, und jetzt lächelte er wieder: »Es ist sicher kein großer Traum, aber ich bin auch kein großer Mensch. Und wenn ich vergleiche, wenn ich daran denke, wie einer sein Leben damit verbringt, Farben in einer bestimmten Art auf Leinewand aufzutragen, so finde ich meinen Traum gar nicht so schlecht. Ich bin zufrieden mit ihm. Aber ich finde es nun an der Zeit, daß ich ernsthaft anfange, ein Stück dieses Traumes in die Wirklichkeit umzusetzen. Für
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