Ein Mann will nach oben
den Traum in der Brust kann niemand etwas, aber für die Art, wie er ihn pflegt, vieles. Ich habe viel Zeit versäumt, Gerti …«
Sie sagte langsam und traurig: »Ich verstehe von alledem so wenig, Karl. Ich verstehe nur, daß ich dich nicht halten kann. Aber so recht habe ich nie daran geglaubt, daß du dich halten läßt, im Innern habe ich nie daran geglaubt.« Sie stand hastig auf und strich ihren Rock glatt. »Das Auto des Doktors!« sagte sie und deutete mit dem Kopf nach der Straße unten. »Er wollte doch auch von dir Abschied nehmen. Komm, Karl.«
»Einen Augenblick noch, Gerti«, bat er. »Der Doktor kann warten, er schwätzt zu gern mit deiner Mutter und trinkt dazu einen westfälischen Korn. – Jetzt will ich dich auch etwas fragen: könntest du dich wohl entschließen, mit mir mitzukommen?« Er sagte hastiger: »Es braucht nicht gleich zu sein, ich werde einen Anfang machen, ich werde lösen, was schon lose ist, ich werde ein wenig aufbauen – und dann hole ich dich. Was meinst du dazu, Gerti?«
»Komm!« sagte sie. »Wir wollen den Doktor auch nicht zu lange warten lassen. – Nein«, sagte sie dann im Weitergehen, »ich kann hier nicht fort. Ich bin die einzige, und der Hof hängt an mir. Es bräche meinen Eltern das Herz, wenn ich fortginge, und es bräche wohl auch mir das Herz, wenn ich in der Stadt Berlin leben müßte. Dort könnte ich nie glücklich sein.«
»Aber hier bist du glücklich gewesen, Gerti, diese Zeit?«
»Ja, hier bin ich sehr glücklich gewesen, Karl.«
Sie waren in dem kleinen Buschgarten, sie warf sich in seine Arme, lange hielten sie sich so. Dann sagte sie: »Versprich mir eins, Liebster!«
»Ja –?« fragte er.
»Laß dich gleich vom Doktor mit zur Bahn nehmen – wir wollen nicht noch einmal Abschied nehmen. Dies ist unser Abschied.«
»Ja«, flüsterte er. »Ja.«
Wieder hielten sie sich lange, und wieder flüsterte sie: »Du mußt mir noch eins versprechen, Karl: du darfst mir nie, nie schreiben, du mußt mich ganz vergessen.« Sie lächelte unter Tränen. »Nein, vergessen sollst du mich nicht, aber du darfst mir nie schreiben. Diese Tage sollen so bleiben wie der Tag heute, ganz klar. Riechst du, wie das Heu von der Wiese her duftet? Immer, wenn sie das Gras mähen werden in den Jahren, die kommen, werde ich an diese Tage denken. Vergiß auch du sie nicht ganz, Karl!« Und ehe er sich noch hatte besinnen können, hatte sie sich aus seinem Arm frei gemacht und war verschwunden.
83. Abschied von einem Arzt
»Nein«, sagte der Arzt. »Es ist alles wieder in bester Ordnung, mein Lieber. Von Ihrem Korpus aus können Sie sich sofort in das nächste Abenteuer stürzen.«
Er beugte sich über seinen Koffer und fing an, das Gerät einzupacken.
»Von den Abenteuern bin ich erst einmal geheilt«, antworteteKarl Siebrecht. »Ich glaube beinahe, für immer. Ich werde in Berlin ganz brav und bürgerlich ein kleines Geschäft anfangen.«
»Und an welche Art Geschäft denken Sie da?« fragte der Arzt. »Ein bißchen Waffenschmuggel? Etwas Gegenspionage? Ein kleiner Putsch?«
»Bloß eine Art Speditionsgeschäft, Herr Doktor. Ich hatte so etwas schon einmal vor dem Kriege. Es hat mir damals viel Spaß gemacht.«
»Und was werden Sie spedieren? Handgranaten? Flammenwerfer? Maschinengewehre?«
»Ich werde Koffer spedieren, Koffer mit Wäsche und Kleidern, schlichte Koffer von einfachen Reisenden. Ich weiß wirklich nicht, warum Sie durchaus einen wilden Landsknecht aus mir machen wollen, Herr Doktor –?!«
»Ich doch nicht!« rief der Arzt. »Aber Sie sind ein Landsknecht, Sie sind ein Abenteurer! Warum bleiben Sie eigentlich nicht hier sitzen? Ich finde, Sie sitzen hier ganz gut. Es ist der schönste Hof weit und breit, und ich für meinen Geschmack muß sagen: es ist auch das schönste Mädchen weit und breit.«
»Ich möchte aber nicht gerne nur der Mann sein, der in einen schönen Hof einheiratet«, antwortete Siebrecht. Und etwas versöhnlicher fügte er hinzu: »Außerdem sind Fräulein Gerti und ich uns völlig einig, daß ich heute noch abreise.«
»So«, sagte der Arzt und sah ihn spöttisch unter der gebuckelten Stirn her an. »So. Sie sind ganz sicher, daß Sie sich über Gertis Meinung nicht täuschen, Herr Siebrecht!«
»So sicher«, sagte Karl Siebrecht, »daß ich Sie sogar bitte, mich jetzt in Ihrem Wagen zur Bahn mitzunehmen. Fräulein Gerti und ich haben uns schon adieu gesagt.«
»Schön«, sagte der Arzt brummig. »Sehr schön!« Er schlug
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