Ein Mensch namens Jesus
Familienangelegenheit: Für sie scheine dieser Gott wie ein Vater zu sein, der sich einzig und allein den Juden und ihrer Macht widmete. »Unser Jupiter«, meinte der Kaufmann, »bestimmt das Geschick aller Menschen. Aber dieser Jahwe... Man könnte meinen, daß er all jenen, die nicht Juden sind, das Recht abspricht, sich zur Menschheit zu zählen.« Augustus und Antonius, fuhr der Kaufmann fort, hätten gut daran getan, einen so skrupellosen Mann wie Herodes zum König über die Juden zu machen.
»Ist denn Herodes wirklich ein skrupelloser Mann?« fragte der Legat sichtlich interessiert.
Dem Kaufmann wurde klar, daß die plötzliche Neugierde seines Gegenübers mit dem Grund seiner Reise zusammenhing. Umsicht war also geboten; gewisse Meinungsäußerungen konnten weitererzählt werden.
»Sprich ohne Furcht!« sagte der Legat. »Du erweist mir damit nur einen Dienst.«
»Herodes ist in der Tat ein skrupelloser König«, begann der Kaufmann. »Aber man muß auch hinzufügen, daß kaum ein anderer Mann fähig wäre, Ordnung in ein Land wie Palästina zu bringen. Die Juden lauem ständig auf eine Gelegenheit, ihn zu stürzen. Aber wenn ich sage >die Juden<, dann ist das ein sehr vager Begriff, da sie sich in mehr oder weniger gegensätzliche, aufrührerische Gruppen aufspalten. Da sind die Samariter, die Pharisäer und die Sadduzäer, die denselben Gott, wenn auch in unterschiedlichen Riten, verehren. Und unter ihnen, vor allem unter den Pharisäern, gibt es unterschiedliche Sekten, von denen jede ihre eigenen Ziele verfolgt...«
»Und was wollen die Juden?« fragte der Legat.
»Die Herrschaft ihres größten Königs David wiederherstellen. Deshalb warten auch viele von ihnen auf einen neuen König, der sie mit Hilfe ihres Gottes Jahwe befreien soll. Sie nennen diesen zukünftigen König Messias.«
Der Legat grübelte über diese Auskunft nach. Man hatte ihm in Rom erzählt, Palästina sei ein unruhiges, bewegtes Land und der Volkszählungserlaß könne dort schlecht aufgenommen werden. Doch im Gespräch mit einem Kaufmann hatte er mehr erfahren, als ihm die angeblich so gut informierten Höflinge des Kaisers hatten erzählen können.
Es war Zeit geworden, wieder zum Schiff zurückzukehren. Sturmverheißende Windstöße fegten durch die Straßen und über den Hafen, peitschten die Wellen jenseits der Pier und preßten dem Legaten die Toga gegen die Beine. »Nur eine kleine Bö«, kommentierte der Kapitän, als er den kaiserlichen Gesandten wieder an Bord begrüßte. Dieser wagte ihm nicht zu widersprechen, um nur ja nicht unerfahren oder ängstlich zu wirken. Kurz nachdem sie den Hafen mit Kurs auf Kyrene verlassen hatten, wurden die Wellen dann allerdings doch immer höher. Der klobige Rumpf der »Marsiana« stampfte und rollte so stark, daß der Legat die Reling verlassen mußte, von der aus er beobachtet hatte, wie die Gischt die Decks der Galeeren auf beiden Seiten weiß umschäumte. Der Himmel, der zunächst klar geblieben war, überzog sich mit bleigrauen Wolken. Ein Blitz flammte, wie es schien, nur wenige Ellen von der Galeere zu ihrer Linken entfernt auf, und ein schwerer Regen verwandelte das Deck im Nu in eine glitschige Rutschbahn. Vornübergebeugt, mit wenig elegant auseinandergestemmten Beinen und an den Arm des Sekretärs geklammert, beeilte sich der Legat, sein Lager aufzusuchen. Als er sich hingelegt hatte, wurde er zunächst blaß, dann grün. Die Seekrankheit, zu der sich noch die Angst vor dem Ertrinken gesellte, setzte seinem Bemühen um eine würdevolle Haltung enge Grenzen. Er stöhnte.
Der Kaufmann eilte herbei. Er hatte einen Becher Wasser mitgebracht, den er dem Sekretär zu halten gab, während er aus dem voluminösen Lederbeutel, den er an der Hüfte hängen hatte, ein Elfenbeinkästchen hervorzog. Diesem entnahm er drei schwarze Kügelchen, kaum größer und appetitlicher als Kaninchenkot, und ließ sie den Legaten mit der Autorität eines Arztes schlucken. Die Verwirrung ließ bei jenem keinen Zweifel aufkommen, womöglich vergiftet zu werden. Er würgte die Kügelchen mitsamt dem Wasser hinunter und dämmerte schon wenig später friedlich vor sich hin. Sein Schnarchen machte in der Kabine bald dem Tosen des Meeres alle Konkurrenz.
Als der Legat erwachte, war es tiefe Nacht. Der Sturm war vorüber, und eine muntere Brise wiegte die »Marsiana« nun weitaus freundlicher. Der Sekretär schlief im Heck. Der Legat hatte Durst, er machte sich auf die Suche nach seinen Sklaven. Sie
Weitere Kostenlose Bücher