Ein Mensch wie Du
er versonnen. »Guten Tag … Ich habe die Prüfung bestanden …«
An dem verblüfften Portier vorbei eilte er durch den Vorgarten hinaus auf die Straße. Dort stand er einen Augenblick im Wind, der vom Rhein herüberwehte, er ließ ihn durch die Haare fliegen, er dehnte sich in der klaren Luft und breitete die Arme aus.
Auf einer Bank der Rheinpromenade saß ein junges Paar und küßte sich. Die Straßenbahn, die an der Hochschule hielt, spie neue Studenten aus, langmähnige Mädchen, Jünglinge mit amerikanisch gestutzten Haaren … Lebhaft diskutierend verschwanden sie hinter dem breiten Palais.
Franz Krone starrte in das schmutzige Wasser des Rheins. Er hatte die Hände auf das eiserne Geländer gestützt und stand mit nach vorn gekrümmtem Rücken am Ufer. Wer ihn so stehen sah, mochte denken, es sei ein Müßiggänger, der seine Zeit mit nutzlosem Betrachten des Lebens und Treibens auf dem Rhein vertat, oder ein Ausländer, der bewundernd vor dem mächtigen Strom stand und darüber nachdachte, was er gleich auf die Ansichtskarte schreiben sollte: ›My dear … The Rhine is wonderful …‹
»Die Gärtnerei verkaufen«, dachte Franz Krone und erschrak über diesen Gedanken. »Das ist unmöglich. Auch eine Hypothek nehme ich nicht auf – ich bleibe ein Gärtner.«
Ihm fiel ein, was Sandra Belora gesagt hatte. »Sie sind der neue Tenor!« Es klang ehrlich, sie hatte ihn in einer impulsiven Freude umarmt – noch sah er ihre Augen vor sich, große, brennende Augen mit einem goldenen Punkt inmitten der Iris, ihre roten Lippen, ein bißchen voll, sinnlich in dem schmalen Gesicht mit der gelbbraunen, fast kreolischen Haut … Er hatte sie umfaßt, als er mit ihr das Duett aus der ›Bohème‹ sang, und sie hatte sich an ihn geschmiegt, als sei es immer so gewesen … Es war ein kurzer Rausch voller Musik gewesen, und als er erwachte, sagte Professor Glatt: »Kein Geld, was?«
Franz Krone richtete sich auf. Er preßte die Aktentasche unter den Arm und ging zur Haltestelle der Straßenbahn zurück, vorbei an dem dicken Baum, hinter dem noch immer, seit Stunden geduldig wartend, Greta Sanden stand und zu ihm hinüberblickte. Sie hatte die lange Zeit auf der Bank gesessen, immer den Blick auf das Palais geheftet … Einmal glaubte sie, seine Stimme zu hören, als ein Fenster an der Seite geöffnet wurde – sie sah eine Frau neben den spiegelnden Scheiben stehen, aber dann war es doch nicht seine Stimme, sie erkannte sie nicht an der klaren Höhe, mit der Franz mühelos sang. Und sie setzte sich wieder auf die Bank und wartete, sah hinüber zu dem Palais und rückte zur Seite, als ein junger Mann sich zu ihr auf die Bank setzte und ein Gespräch mit ihr beginnen wollte.
Dann sah sie ihn aus dem großen Gebäude kommen … Er stand vor dem Palais wie ein Mensch, der sich nicht mehr in seiner Welt zurechtfindet, der wie ein Blinder umhertastet und Halt sucht vor einer unsichtbaren Gefahr. Mitleid stieg in ihr empor, brennendes Mitleid. Er hatte die Prüfung nicht bestanden, das sah sie an seiner Haltung, an seinem Gang, an seiner Hilflosigkeit, mit der er jetzt an das Rheinufer trat und in das schmutzige Wasser starrte. Sie konnte nicht verstehen, daß Professor Glatt seine Stimme nicht schön fand. Einen Augenblick hatte sie den Drang, hinter dem Baum hervorzutreten und sich an seine Seite zu stellen.
Aber sie blieb hinter ihrem Versteck. Denn sie spürte Angst in sich emporsteigen, Furcht vor seinem Zorn, wenn er sie sehen würde. »Du bist allein schuld, du allein«, würde er rufen. »Ich wollte kein Sänger werden … Siehst du nun, daß ich keine Stimme habe? Durchgefallen bin ich, durchgefallen wie ein dummer Schüler. Du hättest mir diese Demütigung ersparen können … Ich wußte es ja …« So blieb sie hinter dem Baum stehen und sah hilflos zu, wie er die Bahn bestieg und in Richtung auf den Kölner Hauptbahnhof davonfuhr, zurück nach Liblar zu seinen Blumen und Gewächshäusern, in denen die Wicken blühten und ihren honigsüßen Duft in die warme, gestaute Luft strömten. Der Salat füllte sich schon, die ersten Gladiolen blühten, die Busch- und Kletterrosen mußten festgebunden werden. Das war seine Welt, die kleine, blühende, duftende, arbeitsschwere Welt des Franz Krone, und so fuhr er zurück zum Kölner Hauptbahnhof und aß am Würstchenstand eine Bockwurst (1 DM mit Brötchen und Düsseldorfer Senf), trank eine Flasche Coca Cola dazu und wartete auf dem zugigen Bahnsteig unter dem
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