Ein Mensch wie Du
ist sicher nichts für Sie …«
»Ich liebe das Land.« Sie wandte sich zu mir um, und ihr Blick traf mich, daß ich zu Boden sah und meine schmutzigen Hände hinter dem Rücken versteckte. »Ich habe in Rom – außerhalb der Stadt, in der Campagna – auch einen Garten. Pinien und Zypressen stehen darin, Mimosenbüsche und Klematis, ein kleiner Teich ist in der Mitte mit Seerosen und einem Schilfufer, in denen Rohrdommeln nisten und wilde Tauben. Nicht weit davon ist die Via Appia antica … Sie kennen doch die Via Appia?«
»Von der Schule her. Wir mußten eine Beschreibung dieser Gräberstraße aus dem Lateinischen übersetzen.«
»Ich habe an der Via Appia eine kleine Farm.« Sie ging mir voraus zu den Gewächshäusern und sah sich mehrmals dabei um. Ich folgte ihr dicht und war wie betäubt von der rätselhaften, triebhaften Kraft, die von ihr zu mir überströmte.
Heute, aus dem Bann ihres Blickes befreit, nicht mehr verzaubert durch ihre Erscheinung, ihre Stimme, ihre Haare und ihr kaskadenhaftes Lachen, zweifle ich, ob ich das, was ich unter dem Zwang ihrer Schönheit tat, vor mir selbst und vor Greta verantworten kann. Greta – ich habe sie seit dem Tag, an dem ich Professor Glatt vorsang, nur zweimal gesehen. Sie kam an dem folgenden Sonntag, und wir sprachen nicht viel miteinander, es sei denn, ich machte ihr Vorwürfe über ihren Besuch bei Professor Glatt. Sie verteidigte sich nicht, sie wollte mich trösten, daß alles so anders gekommen sei; doch als ich ihr sagte, daß ich die Prüfung bestanden hätte, leuchteten ihre Augen auf, sie küßte mich, und unter diesem Kuß vergaß ich, daß ich ihr böse sein wollte und sie zu bestrafen gedachte, indem ich sie nicht küßte.
Man wird sagen, ich sei ein schwacher Mensch, inkonsequent, hin- und hergerissen von Gefühlen und Gedanken, ohne ein Fundament zu haben, das ein Charakter braucht, um zu wachsen. Es mag stimmen, denn in diesen Tagen kannte ich mich selbst nicht mehr … Am Tage stand ich im Garten oder fuhr das Gemüse und die Blumen nach Lechenich zum Großmarkt, aber wenn die Abendwolken sich über die Sonne schoben, wenn der Garten grau wurde und die grünenden Pflanzen blau im Fahl des verblassenden Himmels, saß ich hinter dem Tisch in meiner Kammer und studierte die Opernpartien. Es war ein verzweifeltes Beginnen, denn die Noten sind für mich Zeichen wie cyrillische Buchstaben oder hebräische Schnörkel. Aber den Text konnte ich lernen, und ich sang ihn mit den Melodien, die mein Gehör mir konserviert hatte. Ich war glücklich in diesen Stunden, ich hörte meine Stimme und schloß die Augen, um diesen Tönen fremd gegenüberzustehen, um an ihnen Kritik zu üben und sie unabgelenkt zu verfolgen. Ich sang auch, als Greta an diesem Sonntag in meinem Zimmer saß, und ein Glück strömte über mich hin, daß mein Herz fast zerspringen wollte.
Später saßen wir am Fenster und sahen hinaus auf den dunklen Garten. In den Scheiben der Gewächshäuser spiegelte sich der aufgehende Mond, die Gladiolen hatten silberne Blüten.
»Du wirst die letzte Bahn verpassen«, sagte ich und sah auf meine Uhr.
»Ich weiß«, antworte sie leise.
»Um elf Uhr fährt noch ein Omnibus von Brühl nach Köln. Soll ich dich nachher nach Brühl bringen?«
»Wenn du willst …« Sie sagte es ganz leise und lehnte den Kopf an meine Schulter. So blieben wir schweigend sitzen.
»Es ist halb elf«, sagte ich, als ich wieder auf die Uhr blickte. »Wir müssen fahren, Greta.«
»Ja«, sagte sie und blieb sitzen. Als ich aufstand, um ihren Mantel zu holen, fühlte ich, wie sie meine Hand festhielt. Da blieb auch ich sitzen und umarmte sie stumm.
»Jetzt ist auch der Omnibus weg«, sagte ich nach einer Zeit.
Sie nickte. »Es ist gut so, Franz …«
Als ich die Hand ausstreckte, um die Lampe auszuknipsen, hielt sie meinen Arm wieder fest, so, als bereue sie die Zukunft, die mit diesen Stunden begann. Aber dann lösten sich ihre Finger, und ich löschte das Licht. In der fahlen Dunkelheit warf sie sich mir entgegen und barg weinend den Kopf an meiner Brust.
Sie weinte auch später und umfing mich mit einer verzweifelten Kraft, als habe sie Angst vor dem dämmernden Morgen.
Draußen wanderte der Mond über unseren Garten.
Es ist nicht mehr mein Garten … Es ist unser Garten.
Wie kurz ist doch eine Nacht …
Aber nun war Sandra Belora hier, ein Hauch aus einer Welt, die jenseits von Wünschen und Hoffen liegt auf einem anderen Stern.
»Ich habe an der Via
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