Ein Mörder kehrt heim
überwacht, da kam man durch«, sagte Dornröschen. »Die haben sogar ihre Knarren mitnehmen können. Das stelle man sich mal vor! Irre!«
»Also, wer war der IM âºWaadeâ¹?«, fragte Matti. »Mein Tipp: Die Bullen haben ihn erwischt â¦Â«
»Oder er ist von sich aus ausgestiegen und hat sich gestellt«, warf Twiggy ein.
»Lass mich mal ausreden. Die Bullen greifen ihn, er packt aus und sitzt ein bisschen was ab. Was die Bullen nicht wissen, der Typ ist ein Stasi-Spitzel.«
»Genau«, sagte Dornröschen, »so könnte es passen. Aus dem Knast entlassen, reist er als lebende Legende von Sitzung zu Sitzung, von Veranstaltung zu Veranstaltung und verpfeift auf Teufel komm raus alle, die mitmachen. So erfährt die Stasi, was in der Szene abgeht im sogenannten Operationsgebiet.«
Matti schüttelte den Kopf. Ihm war gerade was eingefallen. »Eine andere Möglichkeit wäre, dass die unter dem Decknamen âºWaadeâ¹ jemand ganz anderen geführt haben. Stell dir vor, das ist der VS-Abteilungsleiter Meier, zuständig für Linksextremismus. Und der Meier verpfeift alles an die Stasi, was über seinen Schreibtisch geht. Dafür kriegt er Weihnachtsgeld, und Mutti freut sich über die Perlenkette.«
Sie dachten eine Weile nach.
»Dann war der Meier aber in der Terrorabteilung beim VS «, sagte Twiggy.
»Stimmt.« Dornröschen stand auf, lief einen Halbkreis und stoppte am Fenster. An der Decke summte die Klimaanlage. »Und wer verrät uns, wieâs war?«
»Der liebe Hauptmann Fendt«, sagte Matti. »Dann wollen wir den mal suchen gehen.«
»Nicht so eilig«, widersprach Dornröschen. »Jetzt sind wir schon mal hier und suchen alles durch. Heute Abend fangen wir mit der Suche nach unserem neuen Freund an. Und morgen sitzen wir wieder artig im Lesesaal.«
»Führer befiehl, wir folgen!«, sagte Twiggy und deutete eine Habachtstellung an.
Dornröschen reckte ihm ihre zarte Faust entgegen, und Twiggy spielte den Ãngstlichen.
Ein giftiger Blick der Oberlehrerin empfing sie, als sie in den Lesesaal zurückkehrten. Betont leise setzten sie sich an ihre Tische und blätterten weiter. Seite um Seite. Stapel alter Zeitungsartikel. Dornröschen schob einen zu Matti und Twiggy. Wieder Spekulationen über einen Fememord an Ingeborg und einer Andrea Müntzer. Die riefen ein paar Journalistengenies schon zur neuen Meinhof aus nach der Entführung des CDU -Spitzenkandidaten für die Wahl zum Abgeordnetenhaus, Peter Lorenz. »Die schöne Terroristin«, las Matti. »Eiskalt« war sie auch und »superintelligent«, »skrupellos« und was an schönen Titeln noch zu vergeben war. Ein paar Seiten später war Andrea abgetaucht für immer. Von wegen neue Meinhof. Ausgestiegen sei sie, berichten nun die Blätter. Opfer eines weiteren Fememords. Beweise: keine. Matti erstaunte es trotz aller Erfahrungen mit Schmierfinken doch, wie hemmungslos manche Blätter Erfundenes als Gewissheit verkauf ten. Daran hatte sich nichts geändert. Nach ein paar hundert Seiten meldete eine Nachrichtenagentur dürr, dass die von Baader erschossene Ingeborg Barth vier Jahre nach ihrem Tod ein Päckchen Antibabypillen in einem Hotel in Husum liegen gelassen hatte.
Auch Tote haben Sex. Ein beruhigender Gedanke.
Seite für Seite, Ordner für Ordner. Im Regal an der Stirnseite, neben dem Oberlehrerschreibtisch, warteten unter der Nummer 18 weitere Stapel, Zeugnisse des Stasi-FleiÃes. Zigtausende von Seiten.
Diesmal stupste Twiggy Matti in die Seite. Matti las die Aussagen von Bommi Baumann. Auch den hatten sie auf der Autobahn aufgegriffen. Schlecht gefälschte Papiere, so blöd musste man erst mal sein. Bommi war eine groÃe Nummer gewesen in der Szene. Und dann war er abgetaucht. Schon auf der Flucht vor den Bullen stellte er sich gegen die einstigen Genossen. Als er nach Jahren verhaftet wurde, bereute er, gelobte Besserung, saà ein paar Jahre ab und warnte seitdem vor Terror und Drogen.
»Das Auspacken hat er hier geübt«, flüsterte Twiggy.
Die Aussage wollte gar kein Ende nehmen. Und die freundlichen Stasi-Vernehmer hatten immer noch eine Frage und noch eine und noch eine. Und Bommi antwortete geduldig und brav. Bis sie ihn endlich nach Westberlin ausreisen lieÃen. Man trennte sich als Freunde.
Die nächste Aussage stammte von Gerhard Müller. An den
Weitere Kostenlose Bücher