Ein mörderischer Sommer
Entsetzlichen verrieten, das er als Polizist jeden Tag mit ansehen mußte. Er war ein schweigsamer Mann, aber heute sprach er noch weniger als sonst. »Bring du sie zur Vernunft«, sagte er nur.
Eve saß am Tisch in der Küche und nippte an einer Tasse Kaffee. Sobald sie ihre Freundin sah, wußte Joanne, daß irgend etwas nicht stimmte. »Was ist los?« fragte sie. Eve war noch im Morgenmantel, und ihr sonst stets perfekt frisiertes Haar wirkte ungekämmt.
»Nichts«, antwortete Eve. Sie versuchte gar nicht, ihren Ärger zu verbergen. »Viel Getu' um nichts.«
»Na klar, es ist überhaupt nichts!« Wie aus dem Nirgendwo erschien Eves Mutter und schob ihrer widerwilligen Tochter ein Fieberthermometer in den Mund.
»Hallo, Mrs. Cameron«, sagte Joanne. Sie war überrascht, Eves Mutter hier zu sehen. »Was ist denn los?«
»Was los ist? Meine Tochter ist letzte Nacht zusammengebrochen und mußte ins Krankenhaus gebracht werden!«
Eve nahm das Thermometer aus dem Mund. »Ich bin nicht zusammengebrochen! Mir geht es ausgezeichnet!«
»Steck das Thermometer wieder in den Mund!« rief ihre Mutter, als ob Eve ein vierjähriges Kind wäre. Eve warf einen beschwörenden Blick zur Decke, tat aber, wie ihr befohlen. »Hattest du vielleicht gestern nacht keine Schmerzen, und mußtest du die Party nicht frühzeitig verlassen? Hat Brian dich nicht ins North Shore University Hospital zur Notaufnahme gebracht? Hat er mich vielleicht nicht in aller Frühe angerufen und gebeten, daß ich mich um dich kümmere, weil er weg muß?«
»Ich hatte leichte Schmerzen«, korrigierte Eve, nachdem sie das Thermometer wieder aus dem Mund genommen hatte, »und die anderen haben überreagiert.«
»Was für Schmerzen?« fragte Joanne. Einen Augenblick lang hatte sie ihre eigenen Probleme vergessen.
»Nur ein kleiner Schmerz in der Brust. Das habe ich schon seit ein paar Wochen.«
»Entschuldigt bitte«, sagte Brian, der an der Tür stand, »aber ich muß jetzt gehen, ich bin schon spät dran. Eve hat gestern gegen Mitternacht Schmerzen in der Brust bekommen, und weil es ihr schwerfiel, aufzustehen, habe ich sie ins Krankenhaus gefahren.«
»Dort haben sie ein paar Untersuchungen gemacht und gesagt, es sei alles in Ordnung«, erklärte Eve.
»Ein EKG haben sie gemacht und alles andere, was man eben macht, wenn Verdacht auf einen Herzanfall besteht …«, ergänzte Brian.
»Und sie haben herausgefunden, daß es kein Herzanfall war.«
»Und sie haben ihr geraten, Ende der Woche noch ein paar Tests machen zu lassen – Magen, Gallenblase und so weiter«, fuhr Brian fort. »Aber sie weigert sich.«
»Mein Gott, es war eine kleine Magenverstimmung«, sagte Eve. »Ich habe keine Lust, hundert unangenehme Untersuchungen über mich ergehen zu lassen, nur damit irgendein Arzt auf meine Kosten medizinische Erfahrung sammeln kann – was sie zugegebenermaßen alle nötig haben!«
»Bitte, rede ihr zu, daß sie die Untersuchungen machen läßt«, bat Brian Joanne. »Ich muß jetzt gehen.« Er gab seiner Frau einen aufmunternden Kuß ins Haar – eine Geste, die in Joannes Brust einen stechenden Schmerz hervorrief und ihr fast die Tränen in die Augen trieb. Dies war ganz offensichtlich nicht der geeignete Zeitpunkt, von Pauls plötzlichem Abgang zu erzählen.
Die Haustür fiel hinter Brian zu. Als Eve den Mund zum Sprechen öffnete, steckte ihre Mutter ihr ganz automatisch das Thermometer hinein.
»Mein Gott, hör doch endlich auf damit!« schrie Eve und schleuderte das Thermometer wütend zu Boden. Es zerbrach in zwei Teile; das Quecksilber ergoß sich über eine Fliese und bildete sofort kleine graue Kügelchen.
»Du willst auf niemanden hören.« Eves Mutter hob das zerbrochene Glas auf und entfernte die Quecksilberkügelchen geschickt mit einem Papiertaschentuch. »Das war schon immer dein Problem.«
»Geh nach Hause, Mutter«, sagte Eve sanft. Aber plötzlich verwandelte sich das Glucksen in ihrer Stimme zu einem Schmerzgestöhn; ihr Körper krümmte sich gegen den Küchentisch.
»Wo tut es denn weh?« fragte Eves Mutter mit schwacher Stimme. Ihre Hände zitterten.
»Es geht schon wieder. Der Schmerz ist weg.« Sie lehnte sich zurück. »Reg dich nicht auf, so schlimm war es nicht.«
»Es war sehr schlimm! Schau dich an – du bist weiß wie die Wand!«
»Ich bin immer weiß wie die Wand. Du sagst doch immer, ich soll mehr Make-up auflegen!«
»Vielleicht solltest du doch zum Arzt gehen.« Joanne versuchte, so locker wie
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