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Ein mörderischer Sommer

Titel: Ein mörderischer Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fielding Joy
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erlitten. Und nun war auch Paul gegangen.
    »Paul hat mich verlassen, Großvater«, flüsterte sie. Sie wußte, daß er sie nicht hören konnte. »Er will nicht mehr verheiratet sein. Ich weiß nicht, was ich machen soll.« Leise begann sie zu weinen. Der alte Mann öffnete die Augen und starrte direkt in ihre, als verstünde er auf einmal genau, wer sie war und was sie gesagt hatte. Langsam verzog sich sein Gesicht zu einem Lächeln. »Arbeitest du hier?«
    Plötzlich saß der alte Sam Hensley aufrecht im Bett und begann laut zu singen. »It's a long way to Tipperary«, grölte er, »it's a long way to go!«
    Der junge Alan Crosby fiel fast vom Stuhl. »Großpapa«, flüsterte er hastig, sprang auf und sah nervös zur Tür. »Sch!« Dann wandte er sich mit einem sanften Lächeln an Joanne. »Seine Militärphase«, erklärte er. In diesem Moment kamen seine Mutter und eine Krankenschwester ins Zimmer gerannt. »Um Gottes willen, sei still, Dad!« keifte Marg Crosby, während die Schwester Sam Hensley sanft in die Kissen zurückzudrängen versuchte. »Ganz ruhig, Mr. Hensley«, sagte sie, »das Konzert ist abgesagt worden.«
    »Weg hier, verdammt noch mal!« schrie Sam, nahm eine Schachtel Kleenex-Tücher vom Nachtschrank und zielte damit auf den mächtigen Körper der Frau.
    »Dad, um Himmels willen …«
    »Warum laßt ihr ihn nicht einfach singen?« fragte Alan Crosby und unterdrückte mit Mühe ein Grinsen.
    »Alan«, warnte seine Mutter, »fang du jetzt nicht auch noch an!«
    »Linda«, rief eine ängstliche Stimme, »was ist das denn für ein Aufruhr?«
    »Ist schon gut, Pa«, flüsterte Joanne und tätschelte seine zitternde Hand. »Ich bin ja hier.«

5
    Es war noch nicht ganz sieben Uhr am nächsten Morgen, als sie vom Klingeln des Telefons geweckt wurde. »Hallo«, sagte Joanne verschlafen, rieb sich die Augen und beugte sich zum Nachttisch hinüber, um nachzusehen, wie spät es war. »Hallo? Wer ist denn da?«
    Keine Antwort.
    Sie setzte sich auf und hielt den Hörer noch ein paar Sekunden im Schoß, bevor sie ihn mit ausgestrecktem Arm auf die Gabel zurückknallte. »Scheißkinder.« Ihr Blick fiel auf das alte Baumwollnachthemd, das sie im Bett immer trug. »Kein Wunder, daß dein Mann dich verlassen hat.« Jetzt spukte Paul ihr wieder im Kopf herum, und den ganzen Tag würde es so bleiben. Was sie auch tat, wohin sie auch ging, Paul würde neben ihr sein. Sie war zu erschöpft gewesen, um weiter zu trauern, zu müde, um sich noch mehr Vorwürfe zu machen, und als einzige Zuflucht waren ihr einige wenige Stunden Schlaf geblieben. Der neue Tag würde sie mit neuen Gründen für Selbstbezichtigungen versorgen: Wenn sie nur dies und jenes nicht getan hätte, wenn sie nur dies und jenes getan hätte. Wenn Paul doch nur zurückkäme – sie würde dann viel mehr so sein und viel weniger so …
    Kurz nach drei hatte sie Robin heimkommen hören, und gegen fünf Uhr war sie endlich eingeschlafen. Ganze zwei Stunden, dachte sie und versuchte sich noch ein paar mehr zu gönnen. Es würde schwierig werden, mit zwei Stunden Schlaf wie eine Zwanzigjährige auszusehen, und sie war doch in den frühen Morgenstunden zu dem Schluß gekommen, daß ihr Äußeres sehr viel mit Pauls Weggang zu tun hatte. Eine Zwanzigjährige hatte er geheiratet und nicht damit gerechnet, daß sie so merklich altern würde. Vielleicht sollte sie mit Karen Palmer sprechen – sie fragen, wo sie sich die Augen richten ließ …
    Eine halbe Stunde später war Joanne noch immer dabei, sich in den Schlaf zurückzuzwingen, als das Telefon wieder klingelte. »Hallo?« flüsterte sie, hoffend, es sei Paul, der sie anrief, um zu sagen, daß auch er nicht schlafen könne und wieder heimkommen wolle. Aber sie erhielt keine Antwort. »Hallo? Hallo? Ist da jemand? Warum machen Sie das?« rief Joanne. Sie wollte gerade auflegen, da hörte sie etwas. »Mrs. Hunter?«
    »Ja?« Bestimmt war es niemand, der sie gut kannte, denn dann hätte er sie mit dem Vornamen angesprochen. »Wer ist denn da?«
    »Haben Sie heute morgen schon die New York Times gelesen, Mrs. Hunter?« fragte die Stimme, die Joanne nirgendwo einordnen konnte.
    »Wer ist da?«
    »Lesen Sie die Morgenzeitung, Mrs. Hunter. Es steht etwas darin, was Sie betrifft. Erste Lage, Seite dreizehn.« Er oder sie hängte auf.
    »Hallo?« sagte Joanne noch einmal, obwohl der Anrufer bereits aus der Leitung war. Einige Minuten lang lag sie bewegungslos im Bett. Sie hörte ihr Herz laut schlagen.
    Sie

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